Heft 
(1897) 06
Seite
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Ueber Land und Wecr.

durchkreuztes Viereck hiu der Friedhof des Arbeiter­dorfes; das Kreuz an feiner Pforte glänzte noch im ersten blanken Teeranstrich, aber schon Zeigten sich hier und da dunkle Hügel mit andern, kleinen Holz- kreuzen seitab den Wegen der Winter hatte dem Tode die ersten Einwohner für feine neue Stadt gesandt.

Viel trauriger als auf dein Armenfriedhof sah es in der Fabrik aus, die ich am Fuße des Hügels liegen sah, als ich an jenem letzten Maitage von Haus Hohnsdorf gefahren kam, um die Gutsherr­schaft auf der Station abzuholen, lieber dem weiten Rohziegelbau mit seinen Hunderten von vorhanglosen Fenstern brütete eine grauenvolle Stille; durch die Scheiben sah man Näder und Riemeuwerk der Maschinen in thatloser Ruhe stehen, ans den turin­hohen Schloten, deren Blitzableiter im goldenen Strahl der nun endlich doch zum Siege gelangten Maisonue funkelten, quoll kein Rauch mehr hervor. Und neben der Fabrik um die halb offenen Schuppen, die noch vollgepfropft erschienen mit fertigen Erzeugnissen des Betriebs, lungerten trübselige Gruppen, Männer, Weiber und Kinder ohne Arbeit. Die Fabrik stand still. Mein Hohnsdorfer Kutscher deutete mit der Peitsche hinüber.Der Krach, Herr Direktor!"

Ja, der Krach. Das war ja das Wort, das seit einer Woche just seit es wirklich anfing, Frühling zu werden alle Welt erfüllte. Alle Welt. Selbst unser KreisbläUchen für mein Interesse an der Welt Händel seit langem die aus­reichende Quelle klang nur noch wieder von diesem einen Wort. Wie war es nur gekommen hier und anderswo? Das fragte sich jetzt alle Welt. Sie suchte nach den Schuldigen, den unheimlichen Zwergen, die so viele glänzende Prachtgebäude unterwühlt hatten, um sie in einem Nu zu stürzen. Kein Mensch hatte nach den Unterirdischen gefragt, solange sie die leuchtenden Säulen und Türme nur hoben und bauten. Jetzt, wo sie ihr Werk zerstört hatten, spähte man ihnen nach und gab ihnen ihre bösen Namen: Unbesonnenheit, Verblendung, Unehrlichkeit, Betrug und so weiter. Und man gelobte sich, nie mehr mit ihnen anzubinden. Nur die Mutter ver­gaß man, die alle diese unheimlichen Pygmäen ge­boren hatte, und von der sie allein ihre schauerliche Kraft sogen: die Sucht nach dem mühelosen Gewinn, nach den goldenen Früchten, die ungesät und un­gepflegt dem dummen Hans in den Schoß fallen sollen, wenn er nur die Kinderschürze empsangs- freudig ausbreitet nach Reichtum ohne Arbeit.

Ich hatte eben den schmalen, fast ganz menschen­leeren Bahnsteig der kleinen Station betreten, als der Personenzug heranbrauste. Die Frau Professor winkte mir schon vom Fenster aus freundlich lächelnd zu; auch das Wesen ihres Gatten kam mir diesmal minder gespannt vor, er hielt sich aufrecht, und über seinem blassen, vornehmen Gesicht lag etwas wie der Abglanz einer lang ersehnten, mühsam erkämpften inneren Ruhe.

Als die erste herzliche Begrüßung vorüber und das Gepäck in den Wagen gebracht war, sagte die Frau Professor:Das Wetter ist heute so schön,

und die Fahrt war lang wenn es Ihnen recht ist, Herr Direktor, lassen wir den Wagen vorans- fahren und machen die halbe Stunde zu Fuß ab?"

Mir ist das sehr recht," antwortete ich, und so wandelte ich zwischen den beiden zurück auf die breite Fahrstraße, au deren Säumen ans dem hellgrünen jungen Gras schon die ersten Blüten der Anemonen und des Steinbrechs hervorleuchteten.

Wir werden auf Hans Hohnsdorf in einigen Tagen noch einen andern lieben Gast Zu begrüßen haben," begann Frau Gisela;meine Stiefmutter, das heißt," unterbrach sie sich mit einem leisen Lachen,eigentlich werden wir dann die Gäste"

Ja, das muß ich Ihnen aber noch erklären," sagte ihr Gatte,Sie wissen doch scholl Sie haben ja wohl in den Zeitungeil die Meldungen über den allgemeinen Finanzsturz verfolgt"

Kaum. Meine Zeitnngslektüre beschränkt sick auf unser Kreisblatt, und seit den drei Tagen, die ich in Vorausnützung Ihrer gütigen Einladung auf Haus Hohnsdorf verweile, habe ich selbst diese Lektüre nur lückenhaft betrieben."

Ja so, dann wissen Sie also noch gar nicht... Die Sache ist nämlich die, daß meine Schwieger­mutter in dieser allgemeinen Sturmflut auch dm meiste, wenn nicht alles von ihrem Vermögen eim gebüßt hat"

Ich blieb unwillkürlich stehen und sah meim beiden Begleiter erschrocken an.

Ja, ja," fuhr der Professor fort,es ist eine skandalöse Geschichte. . . Diese Direktion von der Aktiengesellschaft . . . Natürlich sind die Herren ge flohen, einer soll sich in Mailand das Leben ge nominell haben, lim der Verhaftung zu entgehen sie haben mit dem Geschäftskapital spekuliert ver­mutlich alles verspielt. Unter diesen Umständen bliel ja natürlich für uns beide nur das zu thun, wm mir Gisela sogleich Vorschlag: wir haben Haus Hohm- dorf an meine Schwiegermutter und ihre Söhne ab­getreten. Der ältere soll Landwirtschaft studieren und das Gut später übernehmen."

Ja, sehen Sie," begann Frau Gisela,dm war doch das Nächstliegende, nicht wahr? Die Brüder sind noch nicht selbständig, wir haben doch unser Auskommen an dem, was Leopold einnimmt"

Ja, aber aber," stotterte ichIhr Jh. Vermögen"

Sie lachte wieder, leise, aber sehr fröhlich.Da­wird wohl auch mit draufgegangen sein. Es wa ja auch zumeist in denselben Papieren angelegt."

Ich bin natürlich gleich hinübergereist, um mit den Verwandten zu sehen, was zu retten war," er­zählte der Professor.Aber es war eben nichts zu retten. Wie gesagt, ein skandalöser Fall, selbst in dieser Zeit. Wir dachten, Sie hätten davon ge lesen."

Aber Leopold," fiel Frau Gisela wieder ein. warum erzählst du dem Herrn Direktor nicht lieber etwas Erfreulicheres? Vielleicht weiß er auch davon noch nichts."

Ich sah ihn erwartungsvoll an. Eine freudige Röte spielte über sein Gesicht:Ja wissen Sie,