Die Gefahren des Reichtums.
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daß ich einen Ruf an I ... s Stelle bekommen habe?"
„Das wäre!" rief ich, ordentlich verblüfft. Er hatte mir den Namen eines der vornehmsten Altmeister seiner Wissenschaft genannt, der bis Zu seinem erst vor drei oder vier Wochen erfolgten Tode die groat attraetioo einer süddeutschen Universität gewesen war.
„Ich kann Ihnen versichern, daß es mir selber wunderbar genug war," fuhr Leopold Klinger fort.
„Aber Sie haben natürlich angenommen?"
„Ich denke, daß ich es muß," erwiderte er. „Zwar — und das war das Zweite Wunder für mich — sie wollen mich durchaus in M. behalten. Die Fakultät — nun, das kennt man ja — das ist ein Gebot der kollegialen Höflichkeit. Aber der Kurator ließ auch nicht locker — lebhafter Wunsch des vorgeordneten Ministeriums — man wolle mich nicht aus dem diesseitigen Staatsdienst verlieren — er winkte sogar mit einer beträchtlichen außerordentlichen Zulage — na, und wir sind ja in der Lage, damit rechnen Zn müssen . . . Aber... ich brauche ja von Ihnen nicht Zu fürchten, daß Sie meine Erzählung der Thatsachen für Eitelkeit nehmen — es ist so eine Art Legat, die ich schließlich annehmen muß. . . Der Dekan der Fakultät von da unten schrieb mir nämlich gleich in seiner ersten vertraulichen Anfrage, daß der Verstorbene mich noch wahrend seiner letzten Krankheit gerade als seinen Kandidaten Zur Nachfolge nominiert habe — und zwar vornehmlich auf Grund der Schrift, mit der ich mich in M. habilitiert hatte. Und da —"
„Freilich," sagte ich, „das ist der glänzendste und Zwingendste Ruf, den Sie bekommen könnten. Da müssen Sie folgen. Meinen herzlichen Glückwunsch — Zn allem!"
„Aber, nicht wahr, wie wunderlich sich das getroffen hat?" begann Frau Gisela nach einer Weile. „Das Schreiben kam gerade an, während mein Mann nach der Residenz war. . . Als er Znrückkam — mit dem Nachtzug — brachte ich es ihm mit an den Bahnhof..."
Ich muß sie wohl bei ihren letzten Worten sehr erstaunt — sagen wir dumm angesehen haben, denn sie errötete und verstummte plötzlich.
Vielleicht war aber auch etwas andres an diesem Verstummen schuld. Wir waren eben an der Stelle nngelangt, wo sich der Fahrweg nach Hohnsdors mit dem Wege kreuzt, der aus dem Dorfe nach dem ärmlichen Friedhof hinanssührt. Und aus diesem Wege näherte sich eine kleine Prozession: vorauf ein Geistlicher — der Hauskaplan eines jenseits der Hohnsdorfer Mark gelegenen, einem katholischen Edelmann gehörigen Gutes, der auch wohl die Seelsorge an seinen verstreuten Glaubensgenossen unter den kleinen Leuten rundum wahrnahm, mit seinem Ministranten, in AmtSgewändern; dahinter eine Magd in ländlicher Sonntagstracht, die einen kleinen Sarg leicht wie einen Korb mit Blumen auf dem Kopfe trug, und zum Beschluß ein Mann und eine Frau, beide dunkel gekleidet, er eine Art Dienstmütze, wie sie die Beamten der Staatsbahnen tragen, tief
Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 6.
in die Stirn gerückt, zwischen beiden aber ging ein pausbäckiger, frischer Knabe von zehn Jahren etwa, der einen großen, aus Blumen und Eibenzweigen gewundenen Grabkranz fest in beiden Händchen hielt. So zog das kleine Totengeleite quer vor uns über den Weg, wir Männer nahmen die Hüte ab vor dein Sarge, Frau Gisela aber wandte sich mit einem raschen, schnell verstandenen Blicke auf uns seitwärts und schritt nun in unsrer Mitte den Leidtragenden nach.
Aus dem kleinen, dürftigen Friedhof war eine winzige Grnbe schon ausgeschachtet, daneben standen Zwei Männer in groben Arbeitshemden, mit Stricken und Brettern, ihres traurigen Amtes gewärtig. Sonst war nichts Lebendiges rundum Zu sehen. Aber während der Geistliche seine Zeremonien vollzog, klang mitten zwischen seine Gebete von einem der Bäume jenseits des Friedhosszannes das frohe Lied einer Schwarzamsel hinein, und die paar ärmlichen Metallblumen an: Bügel des Kindersarges funkelten im Hellen Scheine der Maiensonne.
Als die kurze Feier zu Ende war und der Geistliche — es war schon ein älterer Mann mit hagerem Gesicht, in das Krankheit und Entsagung ihre Runen eingegraben — sich zum Gehen wandte, trat Frau Gisela an ihn heran mit einigen leisen, hastigen Fragen. Er schüttelte den Kops: „Das nicht... der Mann würde das Geld nicht einmal annehmen," sagte er halblaut, dann mit erhobener Stimme, auch zu uns gewandt: „Ich danke Ihnen, auch im Namen der Leidtragenden . . . Sie haben wohl gethan," und schritt langsam, von seinem Ministranten und der Magd gefolgt, der Kirchhossthür zu, während Frau Gisela sich der trauernden Mutter znwandte, die mit starren, thränenleeren Augen, wirre Worte murmelnd, auf die allmählich sich füllende Gruft blickte, und ihr herzlich zuredete. Es war eine fremde Sprache, ich verstand kein Wort davon, die Trauernde aber schien sie um so besser zu verstehen; hastig umgewandt lauschte sie aus, ergriff ungestüm die Hand der Trösterin, und indem sie vieles in derselben Sprache erwiderte, schien sich das Eis des Schmerzes zu lösen in den Thränen, die jetzt stromweise ihren Augen entquollen.
Unterdes war auch der Mann an uns herangetreten, den Knaben an der Hand. „Ich danke Ihnen, danke Ihnen sehr," stammelte er mit treuherzigem Händedruck, „so hat ihr doch noch eines die letzte Ehre gegeben, unsrer armen, kleinen Lysinka ... Ja, 's ist hart. . . Sehen Sie, die da" — er griff nach der Hand seiner Frau und zog die Weinende an sich — „die kann's nicht verwinden mit dem Heimweh, es ist ihr alles fremd hier, sie kann ja kaum deutsch sprechen — und so meint sie auch, daß es die Kleine hier nicht gelitten hat. .. Mein Gott, was will man da machen? Das ist nun mal der Dienst — man wird versetzt, hierher und dorthin . .. Und da müssen eben Frau und Kinder mit... die Familie gehört doch zusammen, nicht wahr? — Nun, weine nicht zu sehr, Frau" und dabei rannen ihm selbst die Thränen über die verwetterten Backen — „weißt doch, was der Herr
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