Kaplan sagt: 's war Gottes Wille, weißt du — sie ist zu den Engeln gekommen, hier so gut wie in Ostrowo — nun wollen wir beten und sorgen, daß nns der Bub erhalten bleibt... Nochmals, gnädige Frau, vielen, vielen Dank, und wir werden's Ihnen und den Herren nie vergessen. Der liebe Gott bewahre Sie vor so Schwerem... er lasse Sie viel Freude erleben an Ihren Kindern! — Komm, Frau! Peter, komm! Ich muß Zum Dienst." Und er schritt mit den Seinen eilfertig, ehe es ihn wieder übermannen möchte, hinweg.
Frau Gisela hatte sich etwas befangen abgewandt, sie pflückte eine Blume vom Wegrand, ein kleines, ärmliches Hundsveilchen. Als sie wieder aufschante, begegnete sie den Blicken ihres Mannes, der dicht neben sie getreten war. Sie nannte leise seinen Namen und lehnte sich an ihn, er umfaßte sie und küßte ihre Stirn.
Dann fuhren sie auseinander und sahen mich ordentlich verlegen an.
„Wissen Sie, lieber Professor," sagte ich, „mir ist da eben etwas eingefallen: wenn Sie und Ihre Frau Gemahlin mir Urlaub geben wollen und den Wagen gestatten, dann gehe ich voraus und fahre nochmals schnell nach der Stadt hinüber ... Ich habe da einige Amtspapiere, die ich heute und morgen noch erledigen muß. Es ist mir unbegreiflich, wie mir das erst jetzt wieder einsallen konnte . . . Aber sehen Sie, so geht's, wenn man alt wird."
Frau Gisela lächelte errötend, ihr Gesicht war mir noch nie so hübsch erschienen wie jetzt. „Gehen Sie, lieber Herr Direktor," sagte sie und reichte mir ihre Hand, „wir dürfen Ihren Amtspflichten nicht im Wege stehen, aber morgen kommen Sie wieder, nicht wahr? Aber sicher? Und dann müssen Sie mir auch ein Amtspapier mitbringen, hören Sie? Bon Ihrer Haushälterin ein Verzeichnis Ihrer Lieblingsspeisen."
Ob ich Frau Gisela das gewünschte „Amtspapier" folgenden Tages wirklich mitgebracht, und wie sie es verwertet hat, das gehört ja eigentlich nicht hierher. Als ich an jenem Abend in der Stadt anlangte, war ich jedenfalls Zu — erregt, um mich mit meiner Haushälterin noch lange über die Abfassung des wichtigen Aktenstückes zu besprechen, ja, ich war sogar leichtsinnig genug, ins Kasino zu gehen und den einmal angebrochenen Abend mit einer Flasche Nüdesheimer aus das Wohl meiner Hohnsdorser Freunde zu beschließen.
Dort traf ich den Professor Oudemans. Er saß hinter seinem Mosel wie gewöhnlich, die Tabaksdose und das rotseidene Schnupftuch neben sich, sah aber entsetzlich bös und verärgert aus.
„Hat Ihnen jemand Ihre Disposition gestört, Kollege?" fragte ich.
„Ach was, Disposition!" brummte er. „Meinen Sie, cs wäre eine Kleinigkeit, so mit einem Schlage seine achthundert Mark und darüber Zn verlieren? Dieser verfluchte Berliner, der hat mich nett in die Tinte geritten mit seiner Flora-Tiefbau! Und die Masuren habe ich auch noch gerade in zwölfter Stunde rechtzeitig verkauft, sonst wären es statt acht
hundert jetzt an die zweitausend Mark. O dieser Krach!"
„Ja, es ist bös," antwortete ich. „Aber trösten Sie sich, andre Leute haben ja auch Unglück. Es giebt welche, die haben ganz anders bluten müssen wie Sie."
„Das ist wahr," erwiderte er, vorübergehend sichtlich getröstet, und reichte mir seine Dose. „Was sagen Sie denn zu dem Hereinfall Ihres Schützlings Klinger und seiner hohen Verwandten? Das ist großartig. Es steht in allen Zeitungen. Na, der kann sich jetzt freuen mit seiner reichen Partie. Ein Glück für sie, daß sie wenigstens noch Hohnsdorf haben."
„Am Ende verlieren sie das auch noch," meinte ich und gab die Dose zurück.
„So, meinen Sie wirklich?" fragte er und schnupfte. „Na, Sie müssen's ja wissen. Aber hören Sie mal, dann haben die beiden ja gar nichts mehr."
„Ich bitte Sie!" antwortete ich. „Der junge Mann ist doch schon eine Berühmtheit in seinem Fach. Er soll ja gerade jetzt einen großartigen Rus bekommen haben, die Universitäten reißen sich nur so um ihn."
„Ach, du mein lieber Gott," ries der Professor Oudemans und sah fast bedauernd zu mir herüber, „,Raum ist in der kleinsten Hütte' und so weiter, glauben Sie daran wirklich noch immer, mein lieber Herr Direktor? Nee, das lassen Sie sich nur gesagt sein, wer mal so knietief im Reichtum stand, der findet mit einem Professorsgehalt sein Glück nicht wieder. Der arme Kerl! Er hat mich oft geärgert, aber jetzt konnte er mir beinahe leid thun. Und die junge Frau erst, die so ans einmal ans allen ihren Träumen gerissen wird! Aber das ist es ja gerade, was ich sage: dieser Krach! Da müßte der Staat entschreiten, daß so etwas nicht mehr möglich wäre. In seinem eignen Interesse! Wenn man bloß bedenkt, wie das wieder die Zahl der Malkontenten im Lande vermehren wird. Und es giebt wahrhaftig aus der Welt schon der malkontenten Leute genug."
„Da haben Sie wohl recht, Herr Kollege!" sagte ich und stieß freundlich mit ihm an.
Hilöer vom Herliner ZenLratviehhos.
Von
Ar. K o o d.
Mit 7 Abbildungen nach photographischen Aufnahmen von Zander L Labisch
in Berlin.
^Wei der raschen Zunahme der Bevölkerung Berlins und sA der beständigen Steigerung ihres Wohlstandes bildet die Fleischversorgnng der Millionenstadt eine der schwierigsten Aufgabe!: der Gemeindeverwaltung. Zwar gestattete schon der im Jahre 1867 von einer Privatgesellschaft begründete und polizeilich konzessionierte „Aktienviehhof" eine genügende Ueberwachung des Viehhandels; für die Einführung des Schlachtzwanges auf Grund des Gesetzes vom 3. Dezember 1877 erwies sich jedoch diese Anlage als unzureichend, so daß sich die Stadtgemeinde bei den: allgemeinen Interesse für öffentliche Gesundheitspflege sehr bald veranlaßt sah, einen eignen Vieh- und Schlachthof zu begründen, der