Heft 
(1897) 06
Seite
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Ueber Land und Meer.

Ludwig Nulda.

AUei einem Preisausschreiben, das im Jahre 1882 der Prager SchriftstellervereinConcordia" für einaktige Lustspieldichtungen erlassen hatte, ereignete sich etwas, was sonst bei derartigen Veranstaltungen selten vorkommt: es wurden mit dem ersten und zweiten Preise zwei Merkchen gekrönt, die sich als wirklich wertvoll erwiesen und den Beweis für ihre scenische Lebensfähigkeit dadurch erbrachten, daß sie nicht nur über fast alle bedeutenderen deutschen Bühnen gingen, sondern auch heimisch auf denselben wurden: Die Burgruine" von Heinrich Stobitzer undDie Auf­richtigen" von Ludwig Fulda. Die Namen der Verfasser klangen vollständig neu, und das konnte auch kaum anders sein, denn die preisgekrönten Dichter standen beide noch in jugendlichem Alter, Stobitzer als angehender Tele­graphenbeamter in München und Fulda als Student in Heidelberg. Von dem Urheber derBurgruine" trat später noch ein ähnliches niedliches Lustspiel:Funken unter der Asche" zu Tage, dann aber hörte man wenig mehr von ihm, während der Name Fuldas dem Publikum immer ver­trauter wurde, und der Träger desselben sich sehr bald eine feste und geachtete Stellung in der deutschen Schriftsteller­welt erwarb.

Daß es sich bei Fulda um eine ungewöhnliche Er­scheinung handelte, hätte man sich allerdings schon zur Zeit seines ersten Hervortretens sagen können, denn derselbe Bruder Studio der Huxerko-Carola, der in Prag mit dem Lor­beer des Dichters gekrönt wurde, hatte bereits eine ernste, wissenschaftliche Arbeit hinter sich, die zweibändige gründliche Studie:Die Gegner der zweiten schlesischen Schule" (haupt­sächlich die Dichter Johann Christian Günther und Christian Weise behandelnd und als 38. und 39. Band von Kürschners Deutscher Nationak-Litteratur erschienen), ein Werk, das dem noch nicht promovierten jungen Gelehrten schon die sichere An­wartschaft auf eine Professur hätte geben können. Für die Laufbahn eines akademischen Lehrers vermochte sich indes Fulda nicht zu entscheiden, so ernstlich er sie in Aussicht genommen haben mochte, als er sich dem Studium widmete und deshalb einen nicht ganz leichten Kampf mit seinen Angehörigen zu bestehen hatte.

Der am 15. Juli 1862 in Frankfurt a. M. geborene Dichter entstammt nämlich einer dort ansässigen angesehenen Kaufmannsfamilie, und so wenig man in derselben auch kleinlichen oder engherzigen Anschauungen huldigte, so schwer wurde es doch, namentlich von seiten des Vaters, verschmerzt, daß der Erstgeborene, der als Schüler schon so offenbare Spuren seiner Begabung verraten, der alten Familien­überlieferung nicht folgen sollte. Wie so oft gab auch in diesem Falle den Ausschlag die Mutter, eine feinsinnige und hochgebildete Frau, und so bezog Fulda zunächst die Uni­versität Heidelberg, um sich, seiner Lieblingsneigung folgend, dem Studium der germanistischen Philologie zu widmen. Nach einem Aufenthalt in Berlin und Leipzig kehrte er dorthin zurück, wo er von Anfang an zu den Lieblings­schülern des bekannten Germanisten Karl Bartsch gezählt hatte, und legte 1883 seine Doktorprüfung ab, damit seine akademische Laufbahn beschließend.

Um sich freier litterarischer Thätigkeit zu widmen, siedelte Fulda 1884 von seiner Vaterstadt nach München über, wo er bis zum Jahre 1888 seinen Wohnsitz nahm. Hier veröffentlichte er unter dem TitelSatura, Grillen und Schwänke" (Leipzig 1884) zunächst eine Sammlung zum Teil noch aus früherer Zeit stammender Gedichte, zu­meist parodistisch-satirischen Inhalts, und dann die Lustspiele Das Recht der Frau" (Leipzig 1884),Ein Meteor" (da­selbst 1884),Unter vier Augen" (daselbst 1886),Früh­ling im Winter" (Berlin 1887), sowie die Novelle in Versen Neue Jugend" (Frankfurt 1887).

Alle diese Werke geben, so ungleichartig und un­gleichwertig sie sind, schon die Eigenart des Dichters zu erkennen, wenn auch nicht so ausgeprägt wie die des folgenden Lebensabschnittes. Sie zeigen uns einen über­legenen Geist, der ein offenes Auge für die Gebrechen und Schwächen seiner Zeit und seiner Umgebung hat und" sich zu Spott und Hohn gegen dieselben herausgefor­dert fühlt, von einem weicheren Zuge des Gemütes aber zu einer versöhnlicheren Stimmung zurückgeführt wird. Hand in Hand mit dieser Milde der Empfindung geht bei ihm ein angeborenes Gefühl für harmonische Gestaltung, das sich namentlich in der freien und leichten Beherrschung der sprachlichen und künstlerischen Form äußert. Von ernstem Gedankeninhalt erfüllt, wie seine Schöpfungen sind, treten sie stets in einwandsfreiem dichterischen Gewände vor uns hin, darin ihre größte Stärke entfaltend, während der Hauch der Reflexion, der nicht selten über ihnen liegt, mehr auf den sinnigen und gemütvollen Denker als den impulsiven, von seinem Stoffe mit sich sortgerissenen und den Hörer oder Leser mit sich sortreißenden Dichter hin­weist. Am meisten sprechen aus dieser Zeit die kleinen Lustspiele in Versen an, in denen sich etwas von der feinen Art Paul Heyses verrät, zu welchem Fulda während seines Münchener Aufenthaltes in enge freundschaftliche Beziehungen getreten war.

Im Jahre 1888 siedelte Fulda nach Berlin über, nach­dem er vorher noch eine Anzahl aus seiner Münchener Zeit stammender Dichtungen unter dein TitelSinngedichte" (Dresden 1888) hatte erscheinen lassen. Veranlassung zu dem Wohnortswechsel war jedenfalls das rege Bühnenleben, das sich um jene Zeit in Berlin entfaltete, und der Dichter konnte thatsächlich im ersten Jahre seines Berliner Aufenthaltes mit den: heiter-parodistischen LustspielDie wilde Jagd" in dein von Barnay ins Leben gerufenen Berliner Theater einen vollen Erfolg erzielen. In ziemlich rascher Folge entstanden nunmehr die SchauspieleDas verlorene Paradies" (Stuttgart 1890) undDie Sklavin" (daselbst 1892), sowie die beiden unter dem TitelLebens­fragmente" veröffentlichten Novellen (daselbst 1893). In diesen Werken sucht der Dichter mehr, als er es bisher gethan, Anlehnung an die sogenannte moderne oder realistische Richtung, in resoluter Weise Problemen des modernen gesell­schaftlichen Lebens zu Leibe gehend, doch alles allzu Ge­wagte in seinen Stoffen und alles allzu Peinliche in der Schilderung vermeidend. Der Dichter steht mit seinem Hellen Kopfe zu sehr inmitten des Lebens seiner Zeit, als daß er sich irgend einer Regung desselben verschließen könnte, beherrscht aber andrerseits mit seinem reichen Wissensschatze zu sehr das, was der menschliche Geist in vergangenen Tagen an Strebungen und Wandlungen dnrchgemacht hat, und ist überhaupt eine zu bewußte Natur, als daß er einseitig einer Tagesströmung oder Zeitmode folgen könnte. Ein überaus glücklicher Griff war es, als er im Jahre 1893 die MärchendichtungDer Talisman" schuf. Hier fand er ein Gebiet, aus welchem seine Begabung sich von ihrer glänzendsten Seite entfalten konnte. Ein Stoff, der mitten aus dem Gedankenleben der Zeit geschöpft, in seiner Veranschaulichung aber jeder bestimmten Zeit und jeder bestimmten Oertlichkeit entrückt war, so daß er sich auf der Grundlage der reinen, doch zu voller Klarheit ent­wickelten Idee bewegen konnte, bot Anlaß, dein Leben Ab­gelauschtes mit freier Erfindung zu paaren, während der Märchencharakter der Dichtung die Einkleidung des Ge­dankeninhaltes in ein Gewand verstattete, bei welchem der Meister der sprachlichen und künstlerischen Form zu voller Geltung gelangen mußte. Der Dichter fand zum ersten­mal Gelegenheit, Originelles und Bahnweisendes zu bieten, und der Erfolg seines Werkes war denn auch ein ungewöhn­licher, auf der Bühne sowohl wie in Buchform, in welcher