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von seiner unbestechlichen Borstigkeit erzählte inan sich Anekdoten über Anekdoten.
Wir Schulmädchen konnten stundenlang dastehen und die drei Schießbudendamen anstarren; wir stritten uns, welche die Schönste sei, und in den Gartenlaube-Romanen, die wir heimlich verschlangen, trug jede Brünette die Züge der Jüngeren, Elvira, jede Blondine sah unfehlbar wie Betty Elsner ans.
Später kam die Elsnersche Schießbude nicht mehr, ich weiß nicht warum; aber man erzählte sich, die eine der Töchter habe „es sehr gut angelegt" und einen wohlhabenden Cirkusbesitzer geheiratet.
Also diese müde, stumpf anssehende Frau in kurzem Nöckchen war Betty Elsner!
Eine Gruppe Offiziere schleuderte vorüber.
Jetzt war ich es, die meine Freundin Julia in den Arni kniff.
„Sehen Sie sich mal den dicken Hauptmann dort an."
„Ja — warum?"
„Und dann schauen Sie, bitte, nach der Frau Direktor auf dem Schimmel."
Sie sah verständnislos von einem zum andern.
„Tie beiden schwärmten für einander vor langen Jahren; wenigstens er für sie, das weiß ich genau. Schulmädels, so um dreizehn herum, haben eine Spürnase für so etwas. Die ganze Stadt wußte, daß er der alten Wittmannschen die Wäsche und seiner Wirtin die Miete schuldig blieb, weil er all sein bißchen Lieutenantszulage bei den Elsners oerschoß."
Und, wie ich so in Erinnerungen kramte, fiel mir wieder ein, wie ich einmal mit zwei Schul- treundinnen mich durch das Gedränge vor der Schießbude gedrängt hatte. „Verflixtes kleines Krötenzeug!" knirschteingrimmig der junge Lieutenant, als wir uns mit der Unverfrorenheit neugieriger Backfische einfach neben ihm aufpflanzten, um die schöne Betty anzustarren und zu erlauschen, was die beiden miteinander sprachen.
Was wußte er, welch vielumstrittenes Thema es seit Tagen in unsrer Klasse war, ob „Er" „Ihr" wohl schon einmal einen Kuß gegeben, ob er den Abschied nehmen würde, um sie zu heiraten, oder ob sie am Ende kurzweg miteinander durchgehen würden nach Helgoland oder Gretna-Green, und was der alte Elsner, vor dem wir uns alle fürchteten, wohl dazu sagen würde!
Es war aber nichts dergleichen eingetroffen. Heute hatte er eine doppelt so starke Taille als damals, eine reiche Frau, eine hübsche Villa vor den inzwischen gefallenen Festungswerken und eine Compagnie, deren Chef er war.
Er hatte sie nicht erkannt, seine alte Flamme. Mit vornehmem Seitenblick war er an den Komödianten vorübergestreift.
Die kleine Alma vom Schiffskarussell stieß mich an: „Da, da, die Blanka! O wie schön!"
Ja, da war auch die Blanka; im feuerroten Tarlatankleidchen stand das schlanke, dunkeläugige Kind auf seinem Pony, mit kaltem Blick die Menge musternd. Ans einem noch kleineren Pony saß das
Nebcr Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 8.
Baby der Familie, ein vierjähriges, hellblau gekleidetes Püppchen mit runden Pausbäckchen und lachendem Gesicht. Ihr wenigstens schien die Sache Spaß zu machen.
Dazwischen tollte ein weiß bemalter Clown umher mit einern eingefallenen, völlig humorlosen Gesicht ; von Zeit Zu Zeit schlug er einen unerwarteten Purzelbaum oder schrie einen kaum belachten Witz ins Publikum, sank dann wieder in sich Zusammen und wischte sich mechanisch den beißenden Qualm der Pechfackeln aus den Angen.
Immer noch schrie der Direktor in die Menge hinein — vergeblich, kaum einer machte Miene, zur Kasse zu gehen.
Eine schrille Glocke verkündete trotzdem den Beginn der Vorstellung; die Mitwirkenden ritten hinein, die Bläser ließen ihre Instrumente sinken, wischten sich die Lippen, schlugen mit den Armen, um sich zu erwärmen, und folgten dann in das Innere. Dann klang ein dünner Galopp durch die Zeltwände.
Der Herr Direktor kam wieder heraus, über seinen fleischfarbenen Tricot hatte er einen schäbigen, langschößigen Zivilrock gezogen; es war bitter kalt, Schnee lag in der Luft.
„Meine Herrschaften," — feine arme Stimme versagte fast — „meine verehrten Herrschaften!" Und dann folgte eine Schilderung der unerhörtesten, noch nicht dagewesenen Leistungen, die da drin innerhalb einer Minute vor sich gehen würden.
Zwei kleine Mädchen treten ein — ohne Entree! Es sind Alma und Lieschen, die sich soeben von uns verabschiedet hatten.
Der Anfang war wenigstens gemacht. Ein Unteroffizier mit seiner Braut folgt: das erste zahlende Publikum. Die Kassiererin braucht wenigstens nicht mehr die Daumen zu drehen.
Dann wieder nichts.
Die Menschenmauer vor dein Cirkus hatte sich bedenklich gelichtet, seit die kleine aufgeputzte Kavalkade hinter dem Vorhang verschwunden war.
Man wandte sich einer Nachbarbude zu, wo inzwischen unter geheimnisvoll sein sollenden Orgeltönen ein junges Mädchen „auf offener Scene" in hypnotischen Schlaf versenkt wurde.
Es kostete nichts. Alles drängte hinüber.
Und der fesche Galopp und die mystisch schleppenden Leierkastenklänge schwammen quälend ineinander, kämpften miteinander um die Oberherrschaft, wie Pechfackeln und Oellaternen sich zu überstrahlen suchten, wie Blankas Vater mit dem Nest seiner Stimme dem Hypnotiseur sein Publikum abzuringen trachtete.
Ein paar westfälische Bauernfrauen in reicher Nationaltracht, rotröckig, mit schweren, kostbaren Bernsteinketten, waren unter den letzten, die vor dem Cirkus geblieben. Sie sahen alle so satt aus, so satt!
Caselli schoß auf sie zu, faßte eine der Frauen am Aermel und sprach eindringlich auf sie ein, aber mit dem ganzen Hochmut der wohlhabenden Hofbesitzerin schüttelte sie den Lästigen ab und wandte sich Zum Weitergehn.
„Ne, dat hebt wi allens viel beter sehn, düssen Sommer in Hannover!"
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