Heft 
(1897) 06
Seite
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Ueber Land und Meer.

Resigniert trat der Kunstreiter Zurück, ich glaubte, einen leisen Fluch von seinen Lippen zu hören.

Er sah wirklich etwas grotesk aus mit dem schlotternden Röckchen über den halbsauberen Trieots!

Kleinstadtkomik, liebe Julia," sagte ich herbe, so etwas giebt's ja wohl in Berlin nicht. Möchten Sie nicht Ihr grünes Notizbuch..."

Sie machte eine abweisende Bewegung; ziemlich schweigsam gingen wir nach Hause.

Am nächsten Nachmittag waren große Lücken an Stelle von Meermanns weltberühmtem Panorama und dem Easellischen Cirkus. Nur die kreisförmig aufgewühlte Erde verriet, wo letzterer gestanden hatte.

Der Karpfen.

Von

WoöerL Sohl.

HMs die fünf Exminister des Exkönigs Karls X. nach Ham abgesührt wurden, konnte die Eskorte sie nur mit Mühe vor der Wut des Pöbels schützen, der unauf­hörlich brüllte:Nieder mit den Ministern! Werft Polignac ins Wasser!" Einer der vier andern Minister sagte diesem: Es scheint, daß Sie von uns der populärste sind!" An diese Anekdote muß ich denken, wenn ich von jenem Fische rede, der in diesem Aussatz behandelt werden soll. Der Karpfen ist wohl der populärste Fisch Europas, aber der arme Teufel zahlt seine Popularität, die hienieden ja über­haupt teuer erkauft werden muß, mit seinem Leben. Wie heißt es in dem alten G'stanzl vom Busserl?Er schmeckt halt gar so guat!" notabene in den Monaten mit R! Der Karpfen ist die Zierde großer Tafeln, und selbst der holde Weihnachtsabend würde in manchen Gegenden ein wenig von seinem fröhlichen Zauber einbüßen, erschiene auf dem festlich gedeckten Tische nicht auch ein schönes Exemplar von LFprinus eurpio in irgend einer von der sachver­ständigen Hausfrau gewühlten Form.. Bei der allgemeinen Beliebtheit des Karpfens seit ungefähr zwanzig Jahren hat er sich als Zucht- und Speisefisch auch in Amerika eingebürgert wäre die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß er nach und nach auf den Aussterbe-Etat gesetzt würde. Dem steht nun einerseits die immer ausgedehntere künstliche Zucht in Teichen und Weihern, andrerseits seine ungeheure Vermehrung entgegen, die selbst mit dem Appetit der karpfenspeiseuden Menschheit gleichen Schritt hält. Der Naturforscher Vogt erzählt, daß der Rogen des Karpfen oft schwerer wiegt, als der Fisch selbst, und daß er bei manchen über 700 000 Eier enthält. Von dieser Frucht­barkeit stammt auch sein Name, der von dem Worte L«(>7ros" (Frucht) abgeleitet wird. Er ist der Patriarch der großen Cyprinoidenfamilie, die gegen achtzig Arten zählt.

Die Karpfen sind leicht zu erkennen an ihrer beweg­lichen runden und stumpfen Schnauze, woran rechts und links je zwei fleischige Bartfäden hängen, an der langen Rückenflosse, dem hoch gewölbten Rücken, dem gesenkten Bauche und den großen, breiten Schuppen. Die Kinnlade ist zahnlos, dagegen der untere Schlundknochen mit dicken Zähnen versorgt; die Zunge Feinschmecker wissen sie als besonderen Leckerbissen zu schätzen ist glatt und der Gaumen mit einer reizbaren, weichen und dicken Substanz ausgesüllt. Ein ausfallendes Merkmal besitzt der Karpfen in seinen Flossenstrahlen, die stark gezähnelt sind, und außer­dem in einer Stachelspitze, die je aus dem zweiten Strahle der Rücken- und der Afterflosse hervorragt. Der Karpfen ist ein großer Phlegmatikus, ein die Ruhe über alles liebender Faulpelz, und hält sich aus diesem Grunde nicht

gern in scharf schießenden Strömungen und reißenden Plätzen ans; er bevorzugt stille Tümpel, stehendes oder doch träg fließendes Gewässer und Teiche und Weiher mit lehmigem Untergründe. Dort wühlt er sich gern in den Schlamm hinein oder schleicht gemächlich im Schilfe und auf weichen, verwesenden Wasserkräutern, die den Boden bedecken. Da sucht er seine Nahrung. Man kann nun nicht gerade be­haupten, daß er sehr wählerisch sei; er frißt einfach alles, was ihm vor das Maul kommt, Insekten, Larven, Würmer, Schlamin, faulende pflanzliche und tierische Stoffe, und so muß er es sich gefallen lassen, daß man ihn dasSchwein unter den Süßwasserfischen" benennt. Das stört ihn aller­dings nicht besonders; er wird bei diesem Leben dick und fett, erhält ein Gewicht bis 20 Kilogramm und mehr und kann ein methusalemisches Alter erreichen. Ist doch im Juli 1881 in den Teichen des Schlosses von Fon­tainebleau ein Karpfen Fanny hieß er gestorben, von dem behauptet wurde, daß er zur Zeit der Regierung Franz I. (15151547) dem Ei entschlüpft sei. Ein dokumentarisch sicher gestelltes Alter besaß aber jener würdige Karpfengreis, der im Jahre 1886 in der Spree gefangen wurde, einen Meter lang und 78 Centimeter breit war, etwas über 18 Kilo wog und an: Unterkiefer einen Ring trug, auf dem sich Eingravierungen befanden, die vom Roste zernagt und daher nur unvollständig zu entziffern waren; immerhin konnte so viel festgestellt werden, daß dieser Ring dem Fische im Jahre 1618 in Haselhorst um­gelegt wurde. 268 Jahre lang hat sonach dieser Karpfen des Lebens ungemischte Freude kennen gelernt. Bei der Fischausstellung in Straubing im Jahre 1881 wurden von der Gntsverwaltung des Grafen Preising-Lichtenegg- Moos drei Stück hundertjährige Karpfen in dem Schloß­teiche ausgestellt. Mein Gewährsmann, Herr August Hawlitschek in Wien, entwirft kein besonders verführerisches Bild von ihrer Schönheit.Die Haut war runzelig und aufgesprungen und der Kopf fast so groß wie der eines Kalbes. Länge 1 Meter." Wenn ich noch eines sagen­

haften Karpfen Erwähnung thue, der im Jahre 1711 bei Frankfurt a. Oder gefangen wurde, 9 Fuß Länge, 3 Fuß Breite und 70 Pfund an Gewicht gehabt haben soll, so geschieht dies nur der Vollständigkeit halber, ohne daß ich mich für die faktische Existenz dieses kleinen Wal­fisches gerade verbürgen möchte. Notorisch ist eben, das; der Karpfen sehr alt werden kann. Er hat aber nicht nur ein langes, sondern auch ein sehr zähes Leben und läßt sich, in feuchtes Moos verpackt, ohne Nachteil tagelang transportieren, wenn man ihm nur ein Stückchen Brot, das mit Essig oder Branntwein befeuchtet ist, in den Mund steckt und dasselbe von Zeit zu Zeit durch ein frisches er­setzt. In: Winter packt mau ihn locker in Schnee, worin er zwar erstarrt, aber gleich wieder auftaut, sobald man ihn vorsichtig ins Wasser legt. Werden Weiher, in denen Karpfen gezüchtet sind, abgelassen, so verwählen sie sich gern tief in den Schlamin und bleiben so lange am Leben, als dieser seine Feuchtigkeit behält; daher kommt es auch, daß scheinbar ausgeleerte Teiche plötzlich wieder mit Karpfen besetzt erscheinen. Um solchen Fischen, die in schlammigen, moorigen Teichen, Gräben und ähnlichen Gewässern gefangen wurden, den eigentümlich faulen und modrigen Geschmack zu nehmen, braucht man in: Kochen nur Brotrinde in den Kessel zu werfen, die den widrigen Beigeschmack an sich zieht; auch kann man derartige Fische einige Stunden vor dem Kochen in pulverisierte Holzkohle oder in reines Brunnenwasser, mit Holz und Kleie gemischt, legen. Alan wäscht sie her­nach ab und wiederholt das Verfahren, bis das Wasser nicht mehr schleimig aussieht. Noch einfacher ist es, den Fisch lebend einige Zeit in frischem, reinem Wasser auf­zubewahren. Das gilt auch für andre Cyprinoiden, wie zun: Beispiel Schleien, Brachsen und so weiter. Die