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Zieber Land und Meer.
Dieser hochgespannten Adelsvorstellung entsprach denn auch das gereizte Gefühl, das sie gegen den Zweig des Hauses Thadden unterhielt, der sich (nach seinem pommerschen Gute Triglaff) Thadden-Triglaff nannte, — eine Zubenennung, die dieser einzig wirklichen Triglaff als ein Uebergriff oder doch mindestens als eine Beeinträchtigung ihrer selbst erschien. Woldemar, der dies alles kannte, war dagegen gefeit und wußte seinerseits seit lange, wie zu verfahren sei, wenn ihm die Triglaff als Tischnachbarin zusiel. Er hatte sich für diesen Fall, der übrigens öfter eintrat als ihm lieb war, die Namen aller Konventualinnen auswendig gelernt, die während seiner Kinderzeit hier im Kloster Wutz gelebt hatten und von denen er recht gut wußte, daß sie seit lange tot waren. Er begann aber trotzdem regelmäßig seine Fragen so zu stellen, als ob das Dasein dieser längst Abgeschiedenen immer noch einer Möglichkeit unterläge.
„Da war ja hier früher, mein gnädigstes Fräulein, eine Drachenhausen, Aurelie von Drachenhausen, und übersiedelte dann, wenn ich nicht irre, nach Kloster Zehdenick. Es würde mich lebhaft interessieren, in Erfahrung zu bringen, ob sie noch lebt oder ob sie vielleicht schon tot ist."
Die Triglaff nickte.
Czako, dieses Nicken beobachtend, sprach sich später gegen Nex dahin aus, daß das alles mit der Abstammung der Triglaff Zusammenhänge. „Götzen nicken bloß."
Um vieles lebendiger waren Rede und Gegenrede Zwischen Tante Adelheid und dem Ministerial- assessor, und das Gespräch beider, das nur sittliche Hebungsfragen berührte, hätte durchaus den Charakter einer gemütlichen, aber doch durch Ernst geweihten Synodalplanderei gehabt, wenn sich nicht die Gestalt des Rentmeisters Fix beständig eingedrängt hätte, dieses Dominaproteges, von dem Rex, unter Zurückhaltung seiner wahren Meinung, immer aufs neue versicherte, „daß in diesem klösterlichen Beamten eine seltene Verquickung von Prinzipienstrenge mit Geschäftsgenie vorzuliegen scheine."
Das waren die zwei Paare, die den linken Flügel, beziehungsweise die Mitte des Tisches bildeten. Die beiden Hauptfiguren waren aber doch Czako und die Schmargendorf, die ganz nach rechts hin saßen, in Nähe der dicken Fenstergardinen aus Wollstoff, in deren Falten denn auch vieles verklang. An die Suppe hatte sich ein Fisch und an diesen ein Linsenpüree mit gebackenem Schinken gereiht, und nun wurden gespickte Nebhuhnflügel in einer pikanten Sauce, die zugleich Küchengeheimnis der Domina war, herumgereicht. Czako, trotzdem er schon dem gebackenen Schinken erheblich Zngesprochen hatte, nahm ein zweites Mal auch von dem Nebhuhngericht und fühlte das Bedürfnis, dies zu motivieren.
„Eine gesegnete Gegend, Ihre Grafschaft hier," begann er. „Aber freilich Heuer auch eine gesegnete Jahreszeit. Gestern abend bei Dubslav von Stechlin Krammetsvögelbrüste, heute bei Adelheid von Stechlin Nebhuhnflügel."
„Und was ziehen Sie vor?" fragte die Schmargendorf.
„Im allgemeinen, mein gnädigstes Fräulein, ist die Frage wohl zu Gunsten ersterer entschieden. Aber hier ist doch möglicherweise der Ausnahmesall gegeben."
„Warum ein Ausnahmefall?"
„Sie haben recht, eine solche Frage zu stellen. Und ich antworte, so gut ich kann. Nun denn, in Brust und Flügel..."
„Hihi."
„In Brust und Flügel schlummert, wie mir scheinen will, ein großartiger Gegensatz von hüben und drüben; es giebt nichts Diesseitigeres als Brust, und es giebt nichts Jenseitigeres als Flügel. Der Flügel trägt uns, erhebt uns. Und deshalb, trotz aller nach der andern Seite hin liegenden Verlockung, möchte ich alles, was Flügel heißt, höher stellen."
Er hatte dies in einem möglichst gedämpften Tone gesprochen. Aber es war nicht nötig, weil die von links her ihm zunächst sitzende Triglaff aus purem Hochgefühl ihr Ohr gegen alles, was gesprochen wurde, verschloß, und andrerseits die Domina, nachdem der Diener allerlei kleine Spitzgläser herumgereicht hatte, ganz ersichtlich mit einer Ansprache beschäftigt war.
„Lassen Sie mich Ihnen noch einmal aussprechen," sagte sie, „wie glücklich es mich macht, Sie in meinem Kloster begrüßen zu können. Herr von Nex, Herr von Czako, Ihr Wohl."
Man stieß an, die Schmargendorf etwas übermütig, und nur die Triglaff mit einem Augenausdruck, als ob sich eben ein Kult vollzogen hätte. Rex dankte unmittelbar und sprach, als man sich wieder gesetzt hatte, seine Bewunderung über den schönen Wein aus. „Ich vermute Montesiascone."
„Vornehmer, Herr von Nex," sagte Adelheid in guter Stimmung, „eine Rangstufe höher. Nicht Montesiascone, den wir allerdings unter meiner Amtsvorgängerin auch hier im Keller hatten, sondern Imerlmao Ollrwti. Mein Bruder, der alles bemängelt, nieinte freilich, als ich ihm davon vorsetzte, das paffe nicht, das sei Begräbniswein, höchstens Wein für Einsegnungen, aber nicht für heitere Zusammenkünfte."
„Ein Wort von eigenartiger Bedeutung, darin ich Ihren Herrn Bruder durchaus wiedererkenne."
„Gewiß, Herr von Rex. Und ich bin mir bewußt, daß uns der Name gerade dieses Weines allerlei Rücksichten auferlegt. Aber wenn Sie sich vergegenwärtigen wollen, daß wir in einem Stift, einem Kloster sind ... ich meine, der Ort, an dem wir leben, giebt uns doch auch eine Weihe."
„Kein Zweifel. Und ich muß nachträglich die Bedenken Ihres Herrn Bruders als irrtümlich anerkennen. Aber wenn ich mich so ausdrücken darf, ein kleidsamer Irrtum . . . Aus das Wohl Ihres Herrn Bruders!"
Damit schloß das etwas difficile Zwiegespräch, dem alle mit einiger Verlegenheit gefolgt waren. Nur nicht die Schmargendorf. „Ach," sagte diese, während sie sich halb in den Vorhängen versteckte, „ wenn wir von dem Wein trinken, dann hören wir auch immer dieselbe Geschichte. Die Domina muß