können Sie da groß verlangen? Ich habe, wenn Sie das Wort gelten lassen wollen, 'ne Panoptikumbildung. "
Rex lachte. „Nun, gleichviel. Also der Gras, der die ältere Comtesse Barby heiratete, hieß Ghiberti. Seiner Ehe fehlten aber durchaus die Himmelsthüren, — so viel läßt sich mit aller Bestimmtheit sagen. Und deshalb kam es zur Scheidung. Ja, die scharmante Frau — »scharmant ist übrigens ein viel zu plebejes und minderwertiges Wort — hat denn auch bald danach in ihrer Empörung den Namen Ghiberti wieder abgethan, und alle Welt nennt sie jetzt nur noch bei ihrem Vornamen."
„Und der ist?"
„Melusine."
„Melusine? Hören Sie, Rex, das läßt aber tief blicken."
Unter diesem Gespräch waren sie bis an den Cremmer Damm herangekommen. Es dunkelte schon stark, und ein Gewölk, das am Himmel hinzog, verbarg die Mondsichel. Ein paarmal aber trat diese doch hervor, und dann sahen sie bei halber Beleuchtung das Hohenlohedenkmal, das unten im Luche schimmerte. Hinunterzureiten, was noch einmal flüchtig in Erwägung gezogen wurde, verbot sich, und so setzten sie sich in einen munteren Trab und hielten erst wieder in Cremmen selbst und zwar vor dem Gasthause „Markgraf Otto". Es schlug eben neun von der Nikolaikirche.
Drinnen war man bald in einem lebhaften Gespräch, in dem sich Rex über die in der Stadt herrschende Gesinnung und Kirchlichkeit zu unterrichten suchte. Der Wirt stellte der einen wie der andern ein gleich gutes Zeugnis aus und hatte die Genugthuung, daß ihm Rex freundlich Zunickte. Czako aber sagte: „Sagen Sie, Herr Wirt, Sie haben da ein so schönes Billard; ich habe mir jüngsthin sagen lassen, wenn es flott gehe, so könne man's bis aus dreitausend Mark bringen. Natürlich bei zwölfstündigem Arbeitstag. Wie steht es damit? Für möglich halt' ich es."
XI.
Die Barbys, der alte Graf und seine zwei Töchter, lebten seit einer Reihe von Jahren in Berlin und zwar am Kronprinzenuser, zwischen Alfen- und Moltkebrücke. Das Haus, dessen erste Etage sie bewohnten, unterschied sich, ohne sonst irgendwie hervorragend zu sein (Berlin ist nicht reich an Privathäusern, die Schönheit und Eigenart in sich vereinigen), immerhin vorteilhaft von seinen Nachbarhäusern, von denen es durch zwei Terrainstreifen getrennt wurde; der eine davon, ein kleiner Baumgarten mit allerlei Buschwerk dazwischen, der andre ein Hofraum mit einem zierlichen und malerisch wirkenden Stallgebäude, dessen obere Fenster — hinter denen sich die Kutscher- Wohnung befand — von wildem Wein umwachsen waren. Schon diese Lage des Hauses hätte für ein bestimmtes Maß von Aufmerksamkeit genügt, aber auch seine Fassade mit ihren zwei Loggien links und rechts ließ die des Weges Kommenden unwillkürlich ihr Auge darauf richten. Hier, in eben diesen
Loggien, verbrachte die Familie, mit Vorliebe die Früh- und Nachmittagsstuuden und bevorzugte dabei, je nach der Jahreszeit, mal den zum Zimmer des alten Grafen gehörigen, in pompejischem Rot gehaltenen Einbau, mal die gleichartige Loggia, die zum Zimmer der beiden jungen Damen gehörte. Dazwischen lag ein dritter großer Raum, der als Repräsentationsund Zugleich als Eßzimmer diente. Das war, mit Ausnahme der Schlaf- und Wirtschaftsräume, das Ganze, worüber man Verfügung hatte; man wohnte mithin ziemlich beschränkt, hing aber sehr an dein Hause, so daß ein Wohnungswechsel oder auch nur der Gedanke daran, so gut wie ausgeschlossen war. Einmal hatte die liebenswürdige, besonders mit Gräfin Melusine befreundete Baronin Berchtesgaden einen solchen Wohnungswechsel in Vorschlag gebracht, aber nur um sofort einem lebhaften Widerspruche zu begegnen. „Ich sehe schon, Baronin, Sie führen den ganzen Lennöstraßenstolz gegen uns ins Gefecht. Ihre Lennestraße! Nun ja, wenn's sein muß. Aber was haben Sie da groß? Sie haben den Lessing ganz und den Goethe halb. Und um beides will ich Sie beneiden und Ihnen auch die Spreewalds- ammen in Rechnung stellen. Aber die Lennestraßenwelt ist geschlossen, ist zu, sie hat keinen Blick ins Weite, kein Wasser, das fließt, kein Verkehr, der flutet. Wenn ich in unsrer Nische sitze, die lange Reihe der herankommenden Stadtbahnwaggons vor mir, nicht zu nah und nicht zu weit, und sehe dabei, wie das Abendrot den Lokomotivenrauch durchglüht und in dem Filigranwerk der Ausstellungsparktürmchen schimmert, was will Ihre grüne Tiergartenwaud dagegen?" Und dabei wies die Gräfin auf einen gerade vorüberdampfenden Zug, und die Baronin gab sich zufrieden.
Ein solcher Abend war auch heute; die Balkou- thür stand auf, und ein kleines Feuer im Kamin warf seine Lichter auf den schweren Teppich, der durch das ganze Zimmer hin lag. Es mochte die sechste Stunde sein, oder doch beinah' und die Fenster drüben an den Häusern der andern Seite standen wie in roter Glut. Ganz in Nahe des Kamins saß Armgard, in ihren Stuhl zurückgelehnt, die linke Fußspitze leicht auf den Ständer gestemmt. Die Stickerei, daran sie bis dahin gearbeitet, hatte sie, seit es zu dunkeln begann, aus der Hand gelegt und spielte statt dessen mit einem Ballbecher, zu dem sie regelmäßig griff, wenn es galt, leere Minuten auszufüllen. Sie spielte das Spiel sehr geschickt, und es gab immer einen kleinen Hellen Schlag, wenn der Ball in den Becher fiel. Melusine stand draußen auf dem Balkon, die Hand an die Stirn gelegt, um sich gegen die Blendung der untergeheuden Sonne zu schützen.
„Armgard," ries sie in das Zimmer hinein, „komm; die Sonne geht eben unter!"
„Laß. Ich sehe hier lieber in den Kamin. Und ich habe auch schon zwölsmal gefangen."
„Wen?"
„Nun natürlich den Ball."
„Ich glaube, du fingst lieber wen anders. Und wenn ich dich so dasitzen sehe, so kommt es mir fast