Heft 
(1897) 07
Seite
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Ueöer Land und Weer.

Verlangen, etwas zu belauschen oder von ungefähr in Familienangelegenheiten eingeweiht zu werden, lag ihr völlig fern, und alles, was sie trotzdem zum Ausharren bestimmte, war lediglich der Wunsch, dem historischen Beisammensein zweier Stechlins eine durch ihre Triglaffgegenwart gesteigerte Weihe zu geben. Indessen schließlich ging auch sie. Man hatte sich wenig um sie gekümmert, und Tante und Neffe ließen sich, als sie jetzt allein waren, in Zwei braune Plüschsauteuils (Erbstücke noch vom Schloß Stechlin her) nieder, Woldemar allerdings mit großer Vorsicht, weil die Sprungfedern bereits jenen Alters­grad erreicht hatten, wo sie nicht nur einen dumpfen Ton von sich geben, sondern auch zu stechen ansangen.

Die Tante bemerkte nichts davon, war vielmehr froh, ihren Neffen endlich allein zu haben, und sagte mit rasch wiedergewonnenem Behagen:Ich hätte dir schon bei Tische gern was Besseres an die Seite gegeben; aber wir haben hier, wie du weißt, nur unsre vier Konventualinnen, und von diesen vieren sind die Schmargendorf und die Triglaff immer noch die besten. Unsre gute Schimonski, die morgen einundachtzig wird, ist eigentlich ein Schatz, aber leider stocktaub, und die Teschendorf, die mal Gou­vernante bei den Esterhazys war und auch noch den Fürsten Schwarzenberg, dessen Frau in Paris ver­brannte, gekannt hat, ja, die hätt' ich natürlich solchem feinen Herrn wie dem Herrn von Nex gerne vorgesetzt, aber es ist ein Unglück, die arme Person ist so zittrig und kann den Löffel nicht recht mehr halten. Da Hab' ich denn doch lieber die Triglaff genommen; sie ist sehr dumm, aber doch manierlich, so viel muß man ihr lassen. Und die Schmargen­dorf ..."

Woldemar lachte.

Ja, du lachst, Woldemar, und ich will dir auch nicht bestreiten, daß man über die gute Seele lachen kann. Aber sie hat doch auch was Ernstes und Gehaltvolles in ihrer Natur, was sich erst neulich wieder in einem intimen Gespräch mit unserm Fix Zeigte, der trotz aller Bekenntnisstrenge (die selbst Kose­leger ihm Zugesteht) an unserm letzten Whistabend Aeußerungen that, die wir alle tief bedauern mußten, wir, die wir die Partie machten, nun schon ganz gewiß, aber auch die gute, taube Schimonski, der wir, weil sie uns so aufgeregt sah, alles auf einen Zettel schreiben mußten."

Und was war es denn?"

Ach, es handelte sich um das, was uns. allen, tvie du dir denken kannst, das Teuerste bedeutet, um den ,Wortlaut'. Und denke dir, unser Fix war dagegen. Er mußte Wohl denselben Tag was ge­lesen haben, was ihn abtrünnig gemacht hatte. Personen wie Fix sind sehr bestimmbar. Und kurz und gut, er sagte: das mit dem ,Wortlaut', das ginge nicht länger mehr, die ,Werte' wären jetzt anders, und weil die Werte nicht mehr dieselben wären, müßten auch die Worte sich danach richten und müßten gemodelt werden. Er sagte ,gemodelt'. Aber das Wort, das er am meisten und immer wieder betonte, das war die ,Umwertung'."

Und was sagte die Schmargendorf dazu?"

Du hast ganz recht, mich dabei wieder auf die Schmargendorf zu bringen. Nun, die war außer sich und hat die darauf folgende Nacht nicht schlafen können. Erst gegen Morgen kam ihr ein tiefer Schlaf, und da sah sie, so wenigstens hat sie's mir und dem Superintendenten versichert, einen Engel, der mit seinem Flammenfinger immer ans ein Buch wies und in dem Buch auf eine und dieselbe Stelle."

Welche Stelle?"

Ja. darüber war ein Streit; die Schmargen­dorf hatte sie gelesen und wollte sie hersagen. Aber sie sagte sie falsch, weil sie Sonntags in der Kirche nie recht aufpaßt. Und wir sagten ihr das auch. Und denke dir, sie blieb ganz ruhig dabei. ,Ja', sagte sie, sie wisse recht gut, daß sie die Stelle falsch hergesagt hätte, sie habe nie was richtig her- sagcn können; aber das wisse sie ganz genau, die Stelle mit dem Flammenfinger, das sei der ,Wort­laut' gewesen."

Und das hast du wirklich alles geglaubt, liebe Tante? Diese gute Schmargendorf! Ich will ihr gerne folgen; aber was ihren Traum angeht, da kann ich beim besten Willen nicht mit. Es wird ihr ein Amtmann erschienen sein oder ein Pastor. Dreißig Jahre früher wär' es ein Student gewesen."

Ach, Woldemar, sprich doch nicht so. Das ist ja die neue Fa^on, in der die Berliner sprechen, und in dem Punkt ist einer wie der andre. Dein Freund Czako spricht auch so. Du mokierst dich jetzt über die gute Schmargendorf, und dein Freund, der Hanpt- mann, so viel Hab' ich ganz deutlich gesehen, that es auch und hat sie bei Tische geuzt."

Geuzt?"

Ja, du wunderst dich über das Wort, und ich wundere mich selber darüber. Aber daran ist auch unser guter Fix schuld. Der ist alle Monat mal nach Berlin 'rüber, und wenn er dann wiederkommt, dann bringt er so was mit, und wiewohl ich's un­passend finde, nehm' ich's doch auch an und die Schmargendorf auch. Bloß die Triglaff nicht und natürlich die gute Schimonski auch nicht, wegen der Taubheit. Ja, Woldemar, ich sage ,geuzt', und dein Freund Czako hätt' es lieber unterlassen sollen. Aber das muß wahr sein, er ist amüsant, wenn auch ein bißchen aus der Wippe. Siehst du ihn oft?"

Nein, liebe Tante. Nicht oft. Bedenke die weiten Entfernungen. Von unsrer Kaserne bis zu seiner, oder auch umgekehrt, das ist eine kleine Reise. Dazu kommt noch, daß wir vor unserm Höllischen Thor eigentlich gar nichts haben, bloß die Kirchhöfe, das Tempelhofer Feld und das Notherstist."

Aber ihr habt doch die Pferdebahn, wenn ihr irgendwo hin wollt. Beinah' muß ich sagen, leider. Denn es giebt mir immer einen Stich, wenn ich mal in Berlin bin, so die Offiziere zu sehen, wie sie da hinten stehen und Platz machen, wenn eine Madame aufsteigt, manchmal mit 'nein Korb und manchmal auch mit 'ner Spreewaldsamme. Mir immer ein Horreur."

Ja, die Pferdebahn, liebe Tante, die haben wir freilich, und man kann mit ihr in einer halben