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Zm Znternationalen Aeisebureau.
„Auch das, gnädige Frau! Machen Sie freundlichst Ihr Hauptgepäck bis heute abend fertig, da Sie sonst morgen früh durch unsre Leute gestört werden wurden. Unser Wagen holt Ihr Gepäck noch heute abend ab. Im Wagen haben wir eine Wiegevorrichtung, mit der wir das Geivicht des Gepäcks feststellen, und ans Grund dieser Feststellung wird Ihnen schon in Ihrer Wohnung der Gepäckschein 'ausgehändigt. Sie haben am Bestimmungsorte nur das Gepäck gegen Rückgabe dieses Scheines wieder in Empfang zu nehmen. Wo soll das Gepäck abgeholt werden?"
„Ich bin Frau Direktor M., wohnhaft A-Straße." „Unser Wagen ist heute abend acht Uhr vor Ihrer
Die Frau Direktor M. geht, und der Beamte, der sie expediert hat, atmet erleichtert ans. „Das wäre fertig!" sagt er seufzend. „Es war eine schwierige Sache! Die Dame war schon zu drei verschiedeneil Maten hier und hat mich jedesmal eine ganze Stunde über alle Details verhört. Sogar über die Toiletten, die sie braucht, sollte ich ihr Auskunft geben. Ich konnte ihr aber mir sagen, daß wir Nachrichten aus Nizza hätten, wonach sogar dort das Wetter sehr kühl und regnerisch sei, und daß sie sich auch mit warmer Garderobe versehen müsse."
Diese Unterredung zwischen einem Angestellten des Berliner Internationalen Reisebureaus und dem Verfasser fand in den ersten Tagen des Monats März statt. Ich wollte mir einmal den internationalen Verkehr in dem modernsten aller Reise-Institute ansehen und brachte ein paar Stundeil als Beobachter in dem Burean zu, das in dem belebtesten Teile Berlins, in der Straße Unter den Linden, liegt.
„Ihr Bureau ist ein Privatunternehmen?"
„Jawohl! Unser Direktor ist einer der Direktoren der Internationalen Schlafwagengesellschaft in Brüssel, und wir haben die Vertretung dieser Gesellschaft, die aus allen europäischen Linien Schlaf-, Speise- und Salonwagen lausen läßt. Außerdem besorgeil wir dem Publikum auch die Schlafwagenbillette für die Wagen der preußischen Staatsbahn; wir geben Platzkarten für die D-Züge der preußischen Staatsbahn, wir wechseln Geld: italienisches, österreichisches, russisches, französisches, englisches, holländisches. Wir besorgen das Gepäck, wie Sie hörten, wir verkaufeil Kursbücher, Fremdenführer, Sprachführer, wir besorgen Schiffsbillette für alle Dampferlinien der Welt."
„Sie geben auch die Eisenbahnbillette ans?"
„In diesen Billetschränken seheil Sie zweitausend Sorten Billette, die uns die preußische Staatsbahn hierher gelegt hat. Wir liefern jährlich allein drei Millionen Mark für verkaufte Billette an die preußische Staatsbahn ab."
„Kann mau sich bei Ihnen, wenn man reist, auch gleich eine Wohnung im Hotel besorgen?"
„Auch das können Sie eventuell haben! Die Schlafwagengesellschaft ist wieder bei der Internationalen Hotelgesellschaft in Paris beteiligt, die Luxushotels in Nizza, Lissabon, Brindisi, Kairo, Konstantinopel, Therapia, Ostende und im Engadin besitzt."
„Und Sie nehmen für die Besorgung dieser Billette und Ihre Mühewaltung eine besondere Vergütung vom Publikum?"
„Wir erheben einen kleinen Zuschlag zu den Billetteil. Dafür hat aber das reisende Publikum alle nur denkbare Bequemlichkeit. Wir entlasten außerdem die Eisenbahn bedeutend, deren Billetkassen infolge unsrer Mühewaltung welliger Arbeit haben."
„Ich sehe, es sind alle vier Schalter an Ihrer Barre besetzt. Ist denn jetzt schon so viel Reiseverkehr?"
„Ein außerordentlich starker Verkehr! Wir haben durchschnittlich im Tage gegen zweihundert Kunden hier. Jetzt ist ja die Hauptreisezeit nach dem Süden. Nach
Rom, Neapel, Sizilien, Kairo, nach der Riviera, nach Montreux gehen täglich Leute von hier aus. Da am ersten Schalter stehen zwei „Chasseurs" aus benachbarten Hotels und holen Billette für ihre Gäste. Letztere machen ihre Bestellung im Bureau des Hotels oder beim Portier. Es werden Bestellscheine ausgefertigt und durch dieselben die Billette mit allen Nebenbilletten bei uns geholt. Der Hotelgast braucht sich nicht einmal die Mühe zu machen, hierher zu kommen. An dein zweiten Schalter steht ein Diener aus der russischen Botschaft. Er holt zwei Billetie erster Klasse Paris, dazu zwei Schlafwagenbillette und zwei Hundebillette. Es ist merkwürdig, wieviel Hunde die Russen selbst auf ihren Weltreisen mit sich Herumschleppen . . . Eine Depesche! Gras H. von D. kommt heute abend auf dem Stettiner Bahnhof von Mecklenburg an. Wir sollen das Gepäck nach dem Anhalter Bahnhof schaffen; er will für München einen Separatschlafwagen zu sechzehn Personen. Bitte, notieren Sie die Bestellung," schließt der Erklärer, zu einem Angestellten gewendet.
„Einen Separatschlafwageu? Das passiert wohl selten?"
„Keineswegs! Wöchentlich zuweilen mehrmals. Da kommt Schutztruppe!"
Drei militärische Gestalten in der Uniform der süd- westafrikauischen Reiter betreten das Bureau. Die Leute machen in ihren riesigen gelbledernen Stiefeln, in den gestreiften Plüschanzügen, den breitkrämpigen, an einer Seite aufgeschlagenen grauen Filzhüten, mit ihren Säbeln und Revolvern einen martialischen Eindruck. Die Drei sind begleitet von einem Zahlmeister der Kolvnialabteilung des Auswärtigen Amtes; sie gehen als Nachschub nach Südwestafrika, und das Reisebureau übernimmt ihre Beförderung zu Lande bis Neapel und von dort aus per Dampfer nach Südwestafrika.
Der Diener des deutschen Reichskanzlers erscheint: „Drei Billette erster Klasse nach Wien für morgen früh!"
„Fährt Durchlaucht selbst?"
„Nein, wir haben Besuch aus Wien!" . . .
Frau Direktor M. ist wieder am Schalter und, wie es scheint, in nicht geringer Aufregung:
„Ich erhalte soeben die Nachricht, daß meine Schwester schwer erkrankt ist. Ich kann unter keinen Umstünden nach Montreux fahren. Sie müssen die Billette zurücknehmen."
„Gnädige Frau, wir thun das nicht gern, denn es entstehen allerlei Umständlichkeiten für uns."
„Ich will ja gern etwas verlieren, aber ich kann nicht fahren!"
„Gnädige Frau brauchen nichts zu verlieren; es sind nur fünfzig Pfennig für die Depesche nach Frankfurt wegen des Schlafwagens zu ersetzen und fünfzig Pfennig für die Depesche zur Abbestellung. Macht also eine Mark Abzug. Bitte, hier ist das Geld zurück."
Frau Direktor M. verschwindet. Es naht dafür ein Herr, der das Aeußere eines „Globetrotters" hat. Er spricht deutsch mit stark englischem Accent: „Ich möchte ein Billet für Hongkong. Aber ich muß gleich abfahren."
„Einen Augenblick; ich will nur die Schiffsliste Nachsehen . . . Bitte, Sie können heute abend abfahren. Wenn Sie den Nordfüdexpreß von Berlin über München nach Verona benutzen und von dort über Padua, Bologna, Rom uach Neapel fahren, haben Sie noch einen halben Tag in Neapel Zeit bis zur Abfahrt des deutschen Reichspostdampfers, der von Bremerhaven über Neapel nach Hongkong und Schanghai geht."
„Sehr gut! Ein Billet erster Klasse für das Schiff."
„Wir geben Ihnen also ein Billet erster Klasse bis Neapel, ein Zuschlagbillet für den Luxuszug bis Verona, respektive Padua, dann ein Schlafwagenbillet bis Padua- Rom, dann ein Billet erster Klasse: Schiff von Neapel nach Hongkong."