Heft 
(1897) 10
Seite
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Iie Kullgerstelne.

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Was willst du denn da?" fragte Karl erstaunt. Er hatte bisher geglaubt, daß sich's nur um eine kurze Erholungsreise handle.

Leben! Vorwärts kommen!" sagte Hubert.Aber erst mal auf ein paar Tage nach Leipzig. Da hat sich neulich ein guter Kerl von Buchhändler gefunden ich hatte ihm meinen Roman zugeschickt der be­hauptet, daß er sich für ,mein Talent' interessiere. Ich hätt's ihm nicht geglaubt. Man wird pessimistisch. Aber es scheint dem Manne heiliger Ernst zu sein. Beweis: Er hat mir gestern tausend Mark Vor­schuß geschickt. Meine Wirtin siel fast in Ohnmacht. Vorgestern hat sie mich noch ,Lump' tituliert. Sie weiß, einer, der kein Geld hat, kann nicht klagen. Heut früh war ich schon ,Herr Doktor', heut mittag ,gnädiger Herr'. Wenn ich noch länger bliebe, schwindelte ich mich vielleicht bis zum ,Baron' hinauf. Aber ich habe gleich alle Brücken hinter mir ab­gebrochen. Der Mann in Leipzig sehnt sich nach mir. Er hat Vorschläge. Ich soll ihm alle meine Schmerzenskinder mitbringen. Kurz, es scheint, ich bin entdeckt'. Vielleicht kommt auch meine Zeit einmal."

Diese überraschenden Nachrichten hatte Hubert mit scheinbarer Ruhe erzählt. Nur war er dabei schneller auf und ab gegangen und hatte seine Packerei vergessen. Die Arme hatte er über der Brust ge­kreuzt, den Kopf gehoben. Seine Blicke streiften über den Raum und die Armseligkeiten hin, die so lange seineHeimat" gewesen waren, aber ohne sie zu sehn. Das Blut war ihm in die hageren Wangen getreten. Seine tiefgesunkenen, dunkeln Augen glühten wie im Fieber.

In Karl hatte währenddessen eine jener stillen Revolutionen stattgefunden, die sich zuweilen in der Seele dieses guten Menschen abspielten. Eine un­beschreibliche Freude verdrängte bald die erste Ueber- raschung. Wünsche, Hoffnungen, Zweifel, Furcht tauchten dann auf. Dies alles bildete zuletzt ein Chaos, in dem er sich selber nicht zurechtfand.

Nach Leipzig," sagte er endlich,und dann nach Berlin. Und wie lange denkst du in Berlin ?"

Was weiß ich!" rief Hubert.Ich bin ein Nomade, ein Zigeuner, ein Bohemien! Ich brauche Bewegung! Freiheit! Frische Luft! Eine neue Welt!"

Mein Gott," murmelte Karl und sein Gesicht verfinsterte sich,das hört sich ja an . . . nein . .. ich versteh' dich wohl falsch ... du kommst doch hier­her zurück? Du bist ja doch..."

Er kam nicht zu Ende. Hubert war vor ihm stehn geblieben mit einem so fanatisch glänzenden Blick, daß er betroffen die Lippen schloß.

Ich weiß, was du sagen willst," ries Hubert gewaltsam beherrscht,du bist gebunden, meinst du, moralisch gefesselt, geknebelt... du bist nicht frei. Du darfst nicht frei sein, wenn du nicht eine Schuld auf dich laden willst . .. Was, Karl Wedekind, das sind deine Gedanken?"

Er sah ihn so zwingend an, daß Karl die ge­senkten Augen hob und seinem flammenden Blick begegnete.

Ja," sagte Karl voll Festigkeit.Du kennst

mich ja. Deine plötzliche Abreise wir wollen einmal ganz offen sein hat verzweifelte Aehn- lichkeit mit einer Flucht. Ja, einer Flucht vor deiner dringendsten Pflicht."

Und Karl Wedekind sah so ruhig und unerbittlich drein wie diese Pflicht selber. In feinem gutmütigen Gesicht, das manchmal durch seine schlichte Einfalt fast etwas Komisches hatte, leuchtete ein heiliger Ernst.

Dieser Mensch, der nichts war und nichts fein wollte, als einfachgut", wich und wankte um keine Linie breit von feiner Forderung. Das aber gerade reizte Huberts Verlangen, den oft Bekehrten wieder zu bekehren.

Und wenn ich dir recht gäbe?"

Du giebst es also zu?" fragte Karl.Du brächtest es übers Herz, das arme Weib so aus­geplündert, so vernichtet fitzen zu lassen?"

Und wenn ich hier bliebe? Meine Ketten fester schnürte? So fest, bis sie mich erwürgt haben?" fragte Hubert mit unterdrückter Glut.Du weißt ja nicht, wie sie mich geknebelt, gepeinigt, am Boden niedergehalten, das Beste in mir Zerstört haben!"

Das Beste in dir! Du spielst auf den ,Dichter' an! Seit Goethe und Friederike Brion glaubt ja jeder Ritter vom Pegasus sich ungestraft am Weibe versündigen zu dürfen..."

Hubert blieb am Schreibtisch stehn, stützte die Hand darauf und sah dem Tiefverstimmten mit leisem Lächeln in die Augen.

Das glaubst du ja selbst nicht, Kindlein"

Dummes Zeug! Laß die Scherze! Ich bin nicht dein ,Kindlein'!"

Oder glaubst du etwa, ich wär' so ein elender Geck, dem jedes Mädchen...? Ach was! Bloß, damit er ,dichten' kann, in Stimmung kommt? Karl Wedekind, kennst du mich so schlecht?"

Karl brummte etwas Unverständliches vor sich hin.

Nein!" rief Hubert kraftvoll und entschlossen, für mich kommt's erst mal darauf an, zu zeigen, daß ich ein ganzer Kerl bin! Einfach als Mensch. Als Mann. Danach auch als Künstler. Ja, gewiß. Und vor allem. Aber zunächst"

Er machte wieder einen schnellen Gang durchs Zimmer.

Man will das ja nicht auf sich fitzen lassen. Damals, als ich umsattelte, die ,sichere Versorgung' als Erzieher der Jugend aufgab Herrgott! Das Geträtsch! Die hämischen Prophezeiungen: der ver­lumpt, der geht vor die Hunde! Bis heut, Karl Wedekind, sah's am Ende aus, als hätten sie recht gehabt, die klugen Leutchen! Es wird bald Zeit, daß ich ihnen das Gegenteil beweise."

Er hatte sich warm gesprochen, trat jetzt an Karl heran und legte ihm mit herzlichem Druck die Hand auf die Schulter.

Ich muß empor, Karl! Aus Selbstachtung! Ich sage dir's, dir allein: Ich war ausgetrocknet wie der Fluß da draußen. Ich muß neue Quellen suchen, wenn ich nicht vergehen will! Das ist meine höchste Pflicht. Wem nutze ich, wenn ich mich vernichten lasse von dieser Misere, die mich schon