Heft 
(1897) 10
Seite
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Weber Land und Weer.

bis an den Rand der Verlumptheit gebracht hat? Sich selber zur höchsten Vollkommenheit zu bringen, das kann doch nur der Sinn dieses Lebens, die Auf­gabe jedes einzelnen sein. Und wo liegen meine besten Kräfte? ... In meinem Talent! blrgo . . .? Ich glaube, ich bin doktrinär geworden. Nicht wahr? Ich ärgere dich. Du siehst aus, als wolltest du mich fressen. Und ich Hab' doch nur deinetwegen... Mit mir selber bin ich ja längst im reinen "

Karl suchte mit einer unwilligen Bewegung Huberts Hand von seiner Schulter abzuschütteln.

Wahrhaftig!" brummte er ingrimmig,er hat recht, der Kerl, der den Egoismus als die höchste Weisheit predigt. Nicht bloß unsre Vernunft, auch unser Gewissen unterwirft sich unserm stärksten Triebe, dem Tyrannen in uns! Ich hätt' es nicht geglaubt. An meinem Freunde muß ich's erleben!"

Er sah finster und gequält vor sich hin, als suche er die Last, die Hubert ihm auf die Seele gepackt, von sich abzuwälzen. Ein paarmal hatte er mit den Achseln gezuckt, als könne er sich dadurch der Macht von Huberts Dialektik entziehn. Dieser aber, als wolle er ihn nicht freigeben, legte auch noch seine Linke fest auf Karls runde Schulter.

Du guter Mensch," sagte er leise und weich, ich versteh' ja alles . . . deinen Zorn auf mich, dein Mitgefühl für Johanna"

Laß das!" rief Karl heftig und versuchte aufzuftehn.

Wie wär' das alles anders gekommen," fuhr Hubert trotzdem fort,wenn sie damals dich statt meiner"

Hier sprang Karl auf. Sein gutes Gesicht glühte. Zorn und Bewegung kämpften wunderlich in seinen Zügen.Das ist nun nicht ... das hilft jetzt nichts," sagte er mit knappem Atem.Du hast sie nun mal hineingerissen in dein Schicksal. Du wirst sie nicht am Wege liegen und umkommen lassen wie einen räudigen Hund..."

Er griff mit beiden Händen nach Huberts hagern Fingern.

Es ist ja nicht möglich!" rief er, wie um sich selber etwas Tröstliches Zu sagen,daß du jemals vergessen könntest. . . nein, nein "

Er ließ Huberts Hände los und lief ein paar­mal im engen Zimmer auf und nieder. Es ist ja natürlich," murmelte er dabei,du willst heraus, sehnst dich nach Arbeit, nach Erfolg..."

Ja," sagte Hubert.Nichts mehr von Liebe. Die hat mir schon zu viel gestohlen von meinem Leben. Jetzt kommt die Arbeit. Nur die Arbeit."

Aber später, wenn du's zu was gebracht hast, wenn's dir gut geht ..." Und Karls blaue Augen er hatte Kinderaugen, der Mann hefteten sich sprechend auf Huberts ernstes Gesicht.

Ich bin ein Mensch, der auf einem Messerrücken balanciert," antwortete der.Lauter Fragezeichen, wohin ich blicke. Vor mir. Hinter mir. Bloß eins deutlich. Ein Weg. Unfehlbar. Und den gehe ich. Vielleicht führt er irre. Dann brech' ich mir den Hals. Dann ist's noch so. Du weinst mir eine Thräne nach..."

Er starrte mit visionärem Blick ins Leere.

Oder ich komme ans Ziel. . . ein dunkles, un­bekanntes. Ich werde was. Dann denke: er hat recht gehabt. ,Jn seinem dunkeln Drange' das ist ein wunderbares Wort. Ich thue, was ich nicht lassen kann. Nicht bloß um Ruhm. Auch Johannas wegen. Wie einen ,räudigen Hund', sagst du? Karl Wedekind, schämst du dich nicht? Die Mutter meines Kindes, das treue, opfervolle Weib, ver­gessen? Immer wird sie mir teuer sein. Daß ich für sie sorge, mit ihr teile, das ist doch ganz einfach . . . Darüber braucht man nicht erst..."

Er machte eine Pause. Dann in ganz ver­ändertem Ton:Na, adieu, Karl Wedekind! Leb wohl, alter Mensch,. . . leb . . ."

Er wandte sich nach einem kurzen, kernigen Händedruck schnell ab, trat ans Fenster und trommelte kräftig gegen die Scheiben.

Karl Wedekind ging still hinaus.

«-

Gegen Abend, als alles gepackt, alles Geschäft­liche besorgt war, eine Karte g. x. o. in die Villa Berghauer geschickt und alle Fäden gelockert waren, so daß Hubert mit einem Willensakt sich von Elb­florenz loslösen konnte blieb ihm noch der schwerste Gang zu thun: der Abschied von Johanna.

Es war sieben Uhr und noch ganz hell, als er sich auf den Weg machte. Die Luft in den Straßen war, nachdem den Tag über Menschen und Tiere sie verbraucht und mit ihren Ausdünstungen ver­dorben hatten, Zum Ersticken schwer, schwül, giftig. Hubert, der die ungewohnte körperliche Anstrengung in allen Gliedern spürte, schleppte sich mühsam vor­wärts. Er hatte die letzten Nächte nicht geschlafen vor Erregung. Die übermäßig angespannte Nerven- und Willenskraft begann zu versagen. ,Wie werd' ich's ertragen?' dachte er mit leisem Grauen vor dem, was ihm bevorstand. Aber das half nichts. Das mußte noch sein. Dann war er frei.

Er ging durch den kleinen Laden, der leer war, ins Zimmer. Als er die Thür aufklinkte, kam Johanna ihm entgegen. Haltlos. In Thränen aufgelöst.

Sie war sehr verändert. Das schwarze Kleid machte sie noch magerer, verblühter, ließ ihr Gesicht grau und fahl erscheinen. Dazu die geröteten Augen. Ein Ausdruck des Verfalls lag über ihr. Sonst war sie immer peinlich sauber und nett in ihrem Aeußern gewesen, das schlichte Blondhaar so glatt gestrichen, kein Fehl und Tadel an der ganzen Er­scheinung. Es ging ihm gegen den stark entwickelten Schönheits- und Ordnungssinn, sie so zu sehn. Aber das Mitleid überwog. Warm und gut wie in den ersten Zeiten drückte er sie an seine Brust.

Also ist's wirklich wirklich ernst?" schluchzte sie laut.Du kannst von mir gehn, Hubert?"

Ich muß, Johanna. Sei ruhig. Mach mir's nicht schwer!"

Mich verlassen Und ich habe niemand niemand!"

Er führte sie schweigend an ihren Sofaplatz und setzte sich neben sie in die behagliche Ecke. So saßen sie zum letztenmal beisammen und fühlten, wie ihr Leben verknüpft war durch tausend Erinnerungen,