63
Die Kungerjteine.
frohe und traurige, ja durch das festeste Baud, das Menschen binden kann: Elternglück, Elternschmerz.
Neben dem Sofa, in der Fensterecke, stand das Kindertischchen mit dem kleinen Stuhl davor. Das LieblingsspielZeug des Kleinen war sorgsam ausgebreitet und der ganze Winkel über und über mit Blumen geschmückt. Rosen und wieder Rosen, und Reseda und Levkojen, auch schon die ersten Herbstblumen, große, einfache Georginen und zierliche Astern.
Dafür lebte Johanna. Den Winkel und das kleine Grab draußen zu schmücken, darum stand sie auf, darum ertrug sie den übrigen Tag und die langen, schlaflosen Nächte.
Hubert konnte nicht atmen in dem Duft, der ihm die Brust bedrückte. Neben ihm saß das junge Weib, steif und mühsam gefaßt. Und er ertrug, um sie nicht zu kränken, diese betäubende Luft, ohne ein Wort darüber zu äußern. Sie hatte seine Hand ergriffen und hielt sie fest. Nur heut noch. Morgen war er weit fort.
Sie sprachen allerlei trockene, geschäftliche Dinge. Sie hatte wie eine gute Hausfrau immer für seine Wäsche gesorgt und seine Garderobe im stände gehalten. Nun fragte sie mit halbem Interesse, wie er dies und jenes gepackt habe, und ob auch der neue Rock glatt in den Koffer gekommen sei. Er antwortete ihr freundlich. Aber dabei ging seine Seele ihren eignen Weg.
Immer das Kind! Sein Felix! Ihm war's, als hörte er noch sein Lallen, sein herziges Lachen, den unsicher tappenden Schritt der kleinen Füße auf der Diele.
Er suchte sich zu beherrschen. Keine Sentimentalität! Diese Phase war vorüber, eine neue kam. Das Menschenleben besteht aus solchen Phasen. Wenn die innere Wandlung sich vollzogen hat. Altes abgethan ist, Neues hervor will — war's naturwidrig, das Ueberlebte festhalten zu wollen.
Er dachte an das Wort Berghauers: ,Licht schaffen, Luft machen!' Der Mann hätte ihm recht gegeben.
Aber allmählich schien es ihm doch wohlthuend und friedsam wie nichts auf der Welt, hier zu sitzen mit der Frau, die ihn liebte. Nur heute noch — und wann käme wieder eine solche Stunde?
Johanna war weich und voll verhaltener Zärtlichkeit. Sie hielt jeden Augenblick gleichsam fest mit ihrer Seele, sog seine Süßigkeit heraus, lebte dies letzte Glück so intensiv, als solle es sie für all die armen Jahre entschädigen, die vor ihr lagen.
Es schlug acht, und sie stand auf, um den Laden zu schließen. Als sie zurückkam, saß er noch sinnend in seiner Ecke.
„Wie ist denn das, Johanna? Sonst ging das immer wie in einem Taubenschlag. Heut ist in der ganzen Stunde kein einziger dagewesen."
Johanna blieb ganz gleichgültig. „ Es geht jetzt nicht besonders, das Geschäft," sagte sie ruhig und setzte sich wieder zu ihm.
„Wie kommt das?" fragte Hubert.
Sie hob mit einer müden Gebärde die Schultern.
„Gott! Die Menschen! Wenn sie einem was
abkaufen, soll man ihnen womöglich die Hände küssen. Und immer ein freundliches Gesicht. Und immer ein bißchen schwatzen. Und das..."
Er begriff, daß sie das nicht gekonnt habe. „Ja, aber liebes Kind," sagte er gütig, „du lebst doch davon."
„Mein Gott," murmelte sie, düster vor sich hinstarrend, „ich Hab' ja das Menschenmögliche gethan. Ich Hab' hinterm Ladentisch gestanden und Diariums und Schreibpapier und Federhalter verkauft. Und hatte kaum meine fünf Sinne beisammen . . . Aber es muß ihnen wohl nicht gepaßt haben, mein Gesicht... Und dann war vielleicht noch etwas andres —"
Sie überlegte eine Weile.
„Es muß auch Wohl geredet worden sein," sagte sie dann mit einem bitteren Lächeln, als das Kind starb. Vorher hat ja kaum einer gemerkt, daß es auf der Welt war. Die Mädchen aus der Töchterschule, die meine besten Kunden waren... Na, das ist ja aber ganz egal," schloß sie mit der müden Gleichgültigkeit, die sie für ihr eignes Schicksal hatte. „Was kommt's denn auf mich an!"
„Johanna!" rief er eindringlich, „sprich nicht so!"
„Nein, heut nicht! Heut wollen wir von deiner Zukunft reden," sagte sie mit einem selbstvergessenen Lächeln.
Der Abend sank immer tiefer herab während ihres friedvollen, innigen Gesprächs. Welche Fülle von Liebe in diesem schlichten Geschöpf, welch feines, intuitives Verständnis für seine Natur, seine Bedürfnisse! Sie hatte sich ganz hineingelebt in ihn, war mit tausend Wurzeln mit seinem Wesen verwachsen. Es half ihm nichts, daß er sich jahrelang von ihr loszulösen versucht hatte.
Es wurde grau und schattenhaft in dem kleinen Zimmer. Dann drang allmählich ein breiter gelber Strahl von draußen herein und erhellte an der Hinteren Wand ein paar Möbel und Bilder. Aber Johannas Gesicht blieb in einem geheimnisvoll reizenden Helldunkel. Es war so weiß und schmal und jung. Nur ihre Augen schimmerten groß, dunkel, feucht.
Sie war ihm ganz fremd und neu und seltsam anziehend. Dazu ihre weiche, wohlbekannte, von Zärtlichkeit überquellende Stimme.
Und die Rosendüfte, die aus dem Spielwinkel neben dem Sofa betäubend heraufdrangen!
Er sah sein Kind vor sich, das verlangend die Arme ausstreckte und um einen Blick, ein Wort vergeblich bettelte. Und dann dachte er an Johannas stille Qual, wenn er es um ein kleines Vergehen hart gestraft hatte. Brennende Reue, peinigende Selbstvorwürfe durchschütterten ihn und nagten und gruben in seiner Brust.
Er fühlte nichts als eine große Sehnsucht, den Schatz von Liebe, um den er sein Kind betrogen, in vollen Fluten ausznströmen.
Aber sein Kind war tot!
Tot! Das packte ihn wie Entsetzen. Und da saß das arme beraubte Weib, das er morgen verlassen wollte!
Ihn schauderte vor der großen Einsamkeit, der