Heft 
(1897) 10
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Ueber Land und Meer.

haben, als wenn wir gewissermaßen mit der Lnft fechten. Der an der Spitze Fahrende reißt die übrigen mit fort, sie folgen ihm, als ob sie magnetisch mit ihm verbunden wären, und können dabei ihre Kräfte schonen, fodaß sie in der Entscheidung noch so viel auszugeben haben, nm schließlich den Gegner zu überflügeln.

Diese Erfahrungen sind allgemein bekannt und von den Fahrern aller Länder seit Jahren mit inehr oder weniger Glück ausgenutzt.

In Frankreich, dessen Hauptstadt bis vor kurzem mit Recht als die Hochschule des Radrennsportes bezeichnet werden durfte, hat man nun einen neuen Trick entdeckt, dessen An­wendung denen, die ihn beherrschen, eine fast unwidersteh­liche Ueberlegenheit verleiht. Die Franzosen bezeichnen ihn mit dem WorteäeinurraZs", und erbesteht darin, daß der Fahrer in der Zielkurve einen etwas erhöhten Platz zu erreichen sucht, um von hier aus durch einen kurzen, blitzschnellen An­tritt wie ein Pfeil an seinen Gegnern vorbeizuschießen, wobei er gewöhnlich einen Vorsprung von mehreren Längen gewinnt, den ihm bis zum nahen Ziel keiner mehr zu nehmen vermag. Der erste, der diese Methode mit Erfolg anwandte, war der Franzose Jacquelin. Nach ihm haben namentlich Bourrillon, Nossanr und der Belgier Protin zahlreiche Siege mit ihrer Hilfe errungen, so daß sie den Namen französische Schule nicht mit Unrecht trägt.

Bei der italienischen Methode besteht die Kunst darin, sich die Innenseite zu sichern und in den letzten Runden keinen Gegner mehr vorbeizulassen. Die letzteren, die außen rechts Vorbeigehen müssen, werden dadurch gezwungen, einen weiteren Weg zurückzulegen und infolgedessen auch mehr Kraft auszugeben als der Fahrer an der Junen-

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Freiübungen der Trninierichiiler

feite. Mit Hilfe dieser Methode gewann der Han­noveraner Willy Arend in diesen: Jahre die Welt­meisterschaft in Glasgow, obgleich es seinem gefährlichsten Gegner, dem Engländer Barden, gelang, sich in der letzten Kurve liuks neben ihn zu schieben. Der Han­noveraner konnte hier eben auch noch etwas schneller treten als der Engländer.

Im wesentlichen bedeuten die drei Methoden also eine Gegenüberstellung von teutonischer Kraft, gallischem Ungestüm und italienischer Geriebenheit, doch ist bei der deutschen Methode körperliche Ueberlegenheit eine unerläßliche Vorbedingung des Sieges. Lehr und Arend sind vielleicht die einzigen deutschen Fahrer, die mit ihrer Hilfe in: stände sind, gegen die erstklassige Konkurrenz des Auslandes aufzukommen.

Innerhalb dieses in großen Zügen gekennzeichneten Rahmens liegen die Aufgaben, die der Rennfahrer zu beherrschen hat. Daneben aber ergeben sich in jedem Rennen zahlreiche Einzelheiten, für die sich keine bestimmten Regeln aufstellen lassen. Der Fahrer muß vor allen Dingen stets genau aus seine Gegner achten, damit ihm keiner unvermutet durch einen scharfen Spurt davongeht. Er muß ferner sehen, daß er nicht als Führpferd benutzt wird, sondern einen guten Platz im Felde erwischt. Ferner muß er mit der Leistungsfähigkeit der einzelnen Gegner, mit ihrer Eigenart und etwaigen besonderen Kunstgriffen ver­traut sein, und vor allem muß er selbst fahren können.

Für alle diese Ausgaben soll ihn das Training geschickt machen. In erster Linie aber soll es die als selbstverständlich vorausgesetzten natürlichen Anlagen des Fahrers bis zur äußersten Grenze ihrer Leistungs­fähigkeit entwickeln, was zum Teil durch eine sorg­fältig geregelte Diät, in der Hauptsache aber durch systematisch fortschreitende Uebung, in Verbindung mit Bädern, Massage und andern Hilfsmitteln, erreicht wird.