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Die Nahrungsmittel der Zukunft.
Eiweißsubstanzen des Getreides mitenthalten, und stellt sogar seit etwa zwei Jahren an mehreren Orten Deutschlands ein ebenso nahrhaftes wie billiges Brot direkt aus Getreidekörnern auf die höchst originelle Weise her, daß man das Getreidekorn, wie es ist, in der Schale unmittelbar mit Wasser zu Teig verreibt.
Das Ideal der Brotgewinuung ist dies aber noch immer nicht. Die Chemie steckt sich nämlich das viel höhere Ziel, die Pflanzencellulose direkt in Mehl zu verwandeln. Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß es zahlreiche Körper giebt, die zwar dieselbe prozentmäßige Zusammensetzung aus den Grundstoffen, dabei aber doch untereinander höchst verschiedene Eigenschaften besitzen. Zn diesen Stoffen, die der Chemiker als „isomer" bezeichnet, gehört unsre in Rede stehende Cellulose, deren Molekül aus 6 Atomen Kohlenstoff, 10 Atomen Wasserstoff und 5 Atomen Sauerstoff (Og 8 ^ O 5 ) besteht. Genau dieselbe Zusammensetzung hat aber auch unser Hanptnahrungsmittel, das vielbegehrte Stärkemehl, und es drängt sich daher mit logischer Notwendigkeit der Schluß auf, daß die große Verschiedenheit beider Körper nur auf einer verschiedenen Gruppierung der Atome in den Molekülen beruht. Es ist nun schon vielfach gelungen, den einen Körper in einen andern, ihm isomeren zu verwandeln, so zum Beispiel aus Acetylen (Oz Ich) mit Hilfe der Elektrotechnik das ans verhältnismäßig gleichen Gewichtsmengen bestehende Benzol (tch 8 g) herzustellen, und darauf gründet sich die Hoffnung, Holz, Gras und Heu in Mehl umznwan- deln. Vielversprechende Ansätze hierzu sind bereits gemacht. Behandelt man nämlich die Cellulose mit Chlorzink, Phosphorsäure und Salpetersäure, so verwandelt sie sich in „Amyloid", einen Körper, der große Aehnlichkeit mit Stärkemehl hat; auf einem ähnlichen Wege kann man daraus das in Wasser lösliche Dextrin und aus diesem wieder Traubenzucker gewinnen. In einer einprozentigen Fleischextraktlösung, der kleine Mengen des Mageninhalts von Wiederkäuern zugesetzt sind, löst sich Cellulose auf und wird verdaut. Man sieht aus alledem, daß Cellulose durchaus nicht der unangreifbare Stoff ist, als der er auf den ersten Augenblick erscheint. Wenn die Licht- und Wärmewirkung der Sonnenstrahlen im stände ist, aus der Kohlensäure der Luft und des Wassers Stärkemehl und Cellulose anfzubauen, so ist auch wirklich nicht einzusehen, warum der Chemie, die uns binnen wenigen Jahrzehnten tiefe Einblicke in die Natur der Materie verschafft hat, nicht ein gleiches gelingen sollte. Der hier angedentete Weg, dessen Verfolgung gegenwärtig viele gelehrte Köpfe beschäftigt, ist vielleicht noch lang, bis er zum Ziele führt; er ist vielleicht auch nicht einmal der kürzeste. Denn die lebende Pflanze, die in ihrem Organismus aus den Grundstoffen Stärkemehl, Zucker und Fette schafft und nach Bedürfnis eines in das andre verwandelt und nach andern Teilen ihres Körpers hinleitet, scheint die Cellulose nur als geeignetsten Baustoff ihres Körpers zu produzieren und nur schwer oder gar nicht in verwandte Stoffe zurückznverwandeln. Insofern dieselbe also vielleicht ein Endprodukt des pflanzlichen Lebens ist, kann möglicherweise die Gewinnung von Mehl und Zucker aus den Elementen sich zum Schluß bedeutend einfacher gestalten als aus Cellulose. Wie dein aber auch sein mag, in der einen oder andern Weise wird die Brotfrage in nicht zu ferner Zeit gelöst werden.
Was vom Mehle gilt, findet aber auch auf Eiweißkörper seine Anwendung. Substanzen, die diesen in hohem Grade ähneln, sind in den letzten Jahren auf rein synthetischem Wege mehrfach gewonnen worden. Ihren eigentümlichen Charakter verdanken sie dein Umstande, daß zur Kohle, Wasserstoff und Sauerstoff, den drei Bestandteilen der Kohlehydrate, sich als vierter der Stickstoff gesellt. Mit letzterem wußte man aber bisher wenig anzufangen; man hielt ihn für ein träges, inaktives Element im Vergleich zum Kohlen
stoffe, von dem zurzeit bereits nicht weniger als etwa 30000 Verbindungen bekannt sind. In den letzten Jahren hat man jedoch entdeckt, daß derselbe ebenso mannigfaltige Verbindungen eingeht wie der Kohlenstoff. Es ist daher ein ganz neuer, vorläufig noch gar nicht übersehbarer Teil der Chemie, nämlich jener der Stickstoffverbindnngen, im Entstehen, von dem nähere Aufschlüsse über die Natur der Eiweißverbindungen zu erwarten sind. Die Verschiedenartigkeit unsrer Nahrungsmittel für Zunge und Nase beruht aber bei im wesentlichen gleicher Grundlage zum großen Teile auf der Beimischung geringer Mengen aromatischer, anregender Stoffe, die zum Teil, wie zum Beispiel bei unfern Baumfrüchten, recht wohl bekannt sind und sich ebenfalls künstlich erzeugen lassen. Darum ist es kein vages Traumbild unsinniger Phantasten, wenn man von der Zukunft die künstliche Fabrikation unsrer Nahrungsmittel erwartet.
ßnmimmWi «ul Mmm roll Merstekii.
In seinem hundertsten Geburtstage.
Von
Mvcrnz Koffmcrnn-Icrllevsleben.
Zmdert Jahre sind am 2. April vergangen, daß August Heinrich Hoffmann, der Dichter des Nationalsanges „Deutschland, Deutschland über Alles" in dem Städtchen Fallersleben das Licht der Welt erblickte. In ausführlichen Schilderungen werden die Tagesblätter und Zeitschriften in diesen Tagen das Andenken des vielgeprüften Mannes feiern, hier aber soll nur ein Blick geworfen werden auf die letzte, bisher so gut wie unbekannt gebliebene Epoche seines Lebens, da er nach langer Erdenwandernng eine bleibende Stätte fand und ausrnhen konnte von den Kämpfen und Mühsalen.
Im Mai 1860 hielt Hoffmann mit Frau und Kind seinen Einzug in Schloß Corvey an der Weser, der alten Benediktinerabtei, wohin ihn der Herzog von Ratibor als Bibliothekar berufen hatte. Wohl mag ihn die Einsamkeit, die er in dem Maße noch nie kennen gelernt hatte, sonderbar genug angemutet haben, zumal wenn er der vergangenen sechs Jahre gedachte, die er in dein geistig so anregenden Weimar, im innigen Verkehr mit Franz Liszt, Friedrich Preller, Rubinstein, von Bronsart, H. von Bülow, Genelli und andern verbracht hatte. In Corvey war er ganz auf sich selbst und den Verkehr mit den Seinigen angewiesen, denn ein Umgang mit den Bewohnern von Höxter wie den Beamten des Herzogs auf dem Schlosse Corvey bildete sich erst in den letzten Jahren seines Aufenthalts heraus. Doch er entbehrte zunächst auch den Verkehr nicht, freute sich der wunderbar schönen Natur, arbeitete an der Katalogisierung der kostbaren Bibliothek und an seinen eignen Werken.
Der Sommer verging, ein früher Herbst stellte sich ein. In heimlicher Sorge sah Hoffmann dein kommenden Winter entgegen, und sie war nur zu gerechtfertigt: am 28. Oktober, demselben Tage, da er sie elf Jahre zuvor heimgesührt hatte, starb seine inniggeliebte Gattin, noch nicht dreißig Jahre alt. Niemals erholte er sich von diesem Verlust. Immer wieder gedenkt er in rührender Klage der Verewigten :
„Du schiedest früh von deinen Lieben.
Zu früh von unserm Glück und mir —
Mir ist, als war' ich nur geblieben.
Um immer nachzuweinen dir."
„Gott und die Zeit", seine Arbeit und vor allem seine Poesie halfen ihm so weit über seinen Kummer hinweg, daß er von neuem hoffnungsvoll der Zukunft entgegensah. Mit Eifer begann er, nachdem die Bibliothek von ihm