Heft 
(1897) 10
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Kleber Land und Wcer.

musterhaft durch unablässige jahrelange Arbeit geordnet war, sich seiner poetischen wie wissenschaftlichen Thätigkeit wieder zuzuwenden. Zunächst beschäftigte ihn die Aus­führung des Planes, seine Lebeuserinnerungen zu schreiben.*) Durch das in reicher Fülle vorliegende Material wie sein abwechslungsvolles Leben bestochen, wußte er leider hier nicht Maß zu halten, so daß ein sechsbändiges Werk geschaffen wurde, das wohl als Quellenstudium für Fach­leute, nicht aber für das Publikum geschrieben ist. Auf dem Gebiet der lyrischen Dichtung dagegen herrschte er nach wie vor souverän. In Jugendfrische, formvollendet ent­standen jahraus jahrein bis auf feinen letzten Tug Ge­dichte, die man feine;: besten Liedern aus früherer Zeit an die Seite setzen kann. Eigentümlich war es zu sehen, wie er diese Lieder, schon während er sie dichtete, einer Melodie auzupassen versuchte oder selbst eine neue dazu er­fand, nach der er sich dann die Verse laut vor­sang. Obschon nicht musi­kalisch gebildet (er kannte keine Note!) komponierte er so doch eine große Zahl seiner bekanntesten Gedichte, deren Melodien sich durch besonderen Schwung und L-ingbarkeit auszeichnen; es braucht nur an die herrliche Weise von:Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald" und an die des reizenden Kinderliedes:O, wie ist es kalt geworden" erinnert zu werden, die beide von unserm Dichter herrühren.

Die Welt würde dieser merkwürdigen Begabung weit mehr noch zu ver­danken haben, ein Schatz von Melodien würde uns nicht verloren gegangen sein, wenn Hoffmaun einen verständigen Musiker an der Hand gehabt Hütte, der diese originellen, schlich­ten und doch so zu Herzen gehenden Weisen ausgezeich­net hätte. Aber durch sein ganzes Leben hindurch klagt er darüber, daß ihm jemand fehle, der ihm seine Melodien aussetze. Bald ist der betreffende Tonkünstler, mit dem er aus solche Weise in Verbindung trat, wahrscheinlich voreingenommen gegen denunmusikali­schen" Poeten,empfindlich", wie Hoffmann schreibt, bald ^ bleibt er dabei, dergleichen lasse sich überhaupt nicht auf- ! schreiben, bald will er andre Tonarten, wie er auch be- j sonders mit dem Takt und der Takteinteilung nicht aus- ! kommt, und zu guter Letzt null er gar noch am Text ändern ^ was in des Dichters Augen mit Recht als ein Verbrechen angesehen wird. An; meisten aber konnte es Hoffmann er­bosen, wenn aus dem einfachen Lied einKnnstgesang", wie er sich ausdrückte, gemacht werden sollte. Da protestierte er

Z Später ist diese Autobiographie von t>r. Gerstenberg, dem Herausgeber der Gesammelten poetischen Werke Hoffmanns von Fallers­leben, mustergültig bearbeitet und, bis zum Tode des Dichters fort­gesetzt, in zwei Bänden erschienen (Berlin, Verlag von F. Fontane.)

energisch und fügte sich unter keiner Bedingung, während er sonst des lieben Friedens halber schon einmal nachgab. Liebevolles Eingehen fand er schließlich bei dem Musiker F. Richter in Breslau und später bei dem Altmeister des Volksgesauges Ludwig Erk in Berlin, aber die gemeinschaft­liche Arbeit beschränkte sich immer nur auf die Zeit, wo Dichter und Tonmeister persönlich miteinander verkehren und ihre Meinungen austauschen konnten. War Hoffmann allein, so machte sich der alte Uebelstand wieder bemerkbar. Grade, wenn ich niemand habe, de»; ich sie Vorsingen könnte, fallen mir meine besten Melodienein," klagt er öfters in seinen Tagebüchern. Die Absicht des Dichters aber, seine Lieder zu komponieren, haben die Musiker in einer Weise ausgenommen, die wohl beispiellos dastehen dürfte. Unter den neueren wie den älteren Dichtern ist schwerlich einer,

dessen Lieder so oft und vielfach so gut komponiert sind, von den berühmtesten Musikern sowohl, wie allerdings auch von we­niger berufenen. Sie sind in dieser Gestalt in das Volk gedrungen und tönen überall, so weit die deutsche Zunge klingt. Durch diese Lieder wird Hoffmann sortleben in; deutschen Volke, wenn auch sein Name längst dem Ge­dächtnis der kommenden Generationen entschwun­den sein wird. Schon bei seinen Lebzeiten sind un­gezählte dieser Gesänge thatsächlich Volkslieder ge­worden, sie haben einen unvergänglichen Lorbeer­kranz um des Dichters Schläfe gewoben, der ihm, wie er in den; LiedeDen Freunden" sagt,von Znnstgenossen nicht zu­erkannt" ist. In die Stille des Corveyer Aufenthalts drang, während Hoffmann dort wohnte, der Wie­derhall der großen Kriege, die Deutsch­land 1864, 1866 und 1870 bis 1871 erbeben machten. Mit Begeisterung verfolgte der Dichter die schon seit Jahr­zehnten versuchte Befreiung der beiden nordischen Brnder- stäiume, die jetzt endlich zur That ward.

O Herr der Herr» erwache!

O bring »ns einen Tag,

Den einen Tag der Rache,

Der alles sühnen mag.

Zertrete» sind die Saaten,

Tie Dörfer sind verheert.

Wir selber sind verraten,

Entwaffnet und entehrt"

hatte Hoffmann im Winter 185051 gesungen. Jetzt im Jahre 1864 ward sein Wunsch erfüllt:

Ja, er kam, der Tag der Rache!

Und wie floh der Danebrog,

Als das Paar der deutschen Adler Uebcr Schlei und Eider flog!"