Heft 
(1897) 10
Seite
90
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Ueber Land und Meer.

Die Blumen, sie schweigen,

Die Bäume, sie rauscheu,

Die Wellen, sie plätschern,

Die Flüsse, sie lauschen.

Doch keine Antwort.

Du Mond am Himmel, gieb von Aßly Kunde,

Ihr Sterne, habt Erbarmen mit dem Leid!

Weiß weder Mond noch Stern von einer Herzenswnnde,

Die brennen wird in alle Ewigkeit?

Und auch der Mond, die Sterne bleiben stumm.

Jahrelang durchstreift Fürst Kyaram die Gebirge, bis hinauf in die Regionen des ewigen Schnees, zieht von Dorf zu Dorf, von Gehöft zu Gehöft. Sein Ruhm als Sänger eilt ihm voraus. Er findet gastliche Aufnahme an den Höfen der Fürsten und Chane, Scharen von Menschen ver­sammeln sich, seinen Gesängen zu lauschen. In seinen Liedern richtet er die Frage nach der Verlorenen an Tausende und Abertausende, aber niemand vermag sie zu beantworten.

Endlich gelangt er auf feiner unsteten Wanderung in früher Morgenstunde nach dem Städtchen Chori (Berg). Von rosigem Morgenlicht umflutet, dehnt sich die herrliche Gletfcherkette des Kaukasus vor Kyarams Blicken aus. Hoch hervorragend der Elborus, zu keiner Zeit mit größerem Recht feinen Namen Jaldus Dagh (vergoldeter Berg) tragend, und der Kasbek. Lautlose Stille ringsum.

Doch plötzlich dringt es wie ein fernes, dumpfes Sausen und Heulen an des Sinnenden Ohr. Vom Hochgebirge des Akhalzick her breitet es sich aus über die Vorberge und hüllt die romantischen Burgruinen, welche sie bedecken, in einen nebelhaften Dunst. Näher und näher kommt es wie Sturmgebraus, obwohl die Luft nach allen andern Seiten hin klar und fonnendurchglänzt ist, und wirbelnde Wolken verdichten sich über dem Haupte Kyarams zu einer trichter­förmigen Gestalt, die bis in den Himmel zu reichen scheint.

Kyaram, halte den Fuß rein, damit er nicht Unrechte Wege der Hoffart und Sinnlichkeit wandte!" tönte eine warnende Stimme zu ihm herab.

Ehe er von seiner Ueberraschung sich erholt und Worte zu einer Entgegnung gefunden hatte, brauste schon die Ge­stalt, sich zerteilend, wieder von dannen, verfolgt von Kyarams staunenden Blicken.

Und wieder ist die Luft auch über seinem Haupte von durchdringender Klarheit. So entgeht es dem jungen Fürsten nicht, daß dort, über den Ruinen des Schlosses von Chori, die von einem steil aus der Ebene aufsteigenden hohen Hügel herabblicken, die zerteilten Wolken sich wieder sammeln und, zu einem Ganzen vereint, sich rasch herabsenken. Kein Zweifel! Ein guter Dschin (Genius), der die Ruinen des Schlosses zu feinem Wohnsitz erkoren, hat ihn gewarnt.

Und noch einmal wird in Kyaram die Hoffnung lebendig. Mit beschleunigtem Schritt umgeht er die Stadt, welche sich amphitheatralisch an den Hügel lehnt. Er verfolgt den Lauf des wilden Gebirgsflusses, der am Fuß des Schloß­berges dahinströmt und die üppigste Vegetation hervor­zaubert.

In kurzer Zeit hat er den Aufstieg beendet, und auf dem mit Türmen und Zinnen bedeckten Weg gelangt er innerhalb der Mauern der alten Ruine. Am Eingang des verschütteten Hofraums sieht er in zufammengekauerter Stellung ein tatarisches Weib. Vor ihr steht ein mit Wasser angefülltes Gefäß, über welches sie sich, unverständ­liche Worte murmelnd, beugt.

Bei Kyarams Näherkommen richtet die Alte sich auf eiue ungewöhnlich große, hagere Gestalt.

Du, eines mächtigen Fürsten Sohn, dem die Völker dienen sollten, was suchest du ein Weib?" wandte sie sich Kyaram zu.

Sage mir, wo sie ist, die ich suche, und ich will dir das Beste geben, was ich habe," lautete die Antwort.

Ich mag nicht deinen Ring, obwohl er einen wirksamen

Talismail enthält. Dein Vater aber hat mir eines Tages einen großen Dienst geleistet, und darum will ich dir zu Willen fein. Gedulde dich!"

Sie hatte sich erhoben, und über Schult und Geröll dahinschreitend, näherte sie sich einem bedeckten Gang, in welchem sie verschwand.

Stürmisch klopfenden Herzens erwartete Kyaram der Alten Wiederkehr. Nur wenige Augenblicke waren ver­schwunden, als sie, an ihrer Hand ein verschleiertes Mädchen führend, abermals in seinen Gesichtskreis trat. Mit einer Handbewegung hieß sie das Mädchen vor dem Gefäß mit Wasser sich niederlassen, vor welchem der Fürst bei feinem Eintritt die Alte sitzend gefunden.

Dann hüllte sie das Mädchen mitsamt dem Gefäß in ein großes weißes Laken ein. Sie selbst aber nahm hinter demselben Rücken au Rücken Platz und begann Sprüche zu murmeln. Nach einer Weile fragte sie:

Was siehst du?"

Ich sehe einen Priester, den Wanderstab in der Hand. Er führt ein Mädchen, schön wie eine Houri."

Laß sie ziehen. Wohin lenken sie ihre Schritte?"

Als nicht gleich eine Antwort erfolgte, begann die Alte von neuem ihre Sprüche zu murmeln.

Sie gehen einen Weg an einem Flüßchen entlang. Er führt über eine Brücke in ein tief eingeschnittenes Felsenthal."

Laß sie ziehen. Wohin lenken sie ihre Schritte?"

Das steile Ufer hinan und weiter durch die grüne Steppe, den Bergen am Horizont zu."

Laß sie ziehen. Was siehst du?"

Ein andres Felsenthal. Der Priester liegt im Sterben. Das schöne Mädchen ist in ein graues, undurchdringliches Gewand gehüllt."

Und weiter?"

Es erfolgte keine Antwort, und wieder begann die Alte ihre Zaubersprüche zu murmeln. Da kam ein klagender Ton unter dem Laken hervor.

Ich sehe nichts mehr, der Spiegel des Wassers ist trübe geworden."

Erhebe dich es ist genug."

Das Mädchen that, wie die Alte ihr geboten, und diese folgte ihrem Beispiel.

Du hast gehört, Fürst Kyaram," wandte sie sich nun dem jungen Manne zu,zieh gegen Norden, dem Dorfe Stephan-Tyminda am Fuß des Kasbek zu. Laß es zur Linken liegen, rechts findest du das eingeschnittene Felsenthal, das der Fluß durchkreuzt. Jenseits desselben steige das steile Ufer hinan und verfolge den einzigen Weg, der Schatten dir bieten wird. Du kannst nicht fehlen."

Und noch einmal nahm Kyaram feinen Wanderstab zur Hand. Durch fruchtbare Thäler, an rebenumkränzten Höhen vorüber lenkte er seine Schritte dem Kasbek zu, dessen von ewigem Schnee bedeckte Höhe ihm Leitstern war. Maulbeeren und Mandeln dienten ihm zur Speise, und den Durst löschte er mit dem krystalleneu Qnellwasser, das er mit der hohlen Hand schöpfte.

Am Abend des vierten Tages sah er sich auf der Brücke, die über ein reißendes Flüßchen führte. Er durchschritt, feinem Laufe folgend, das Felsenthal und erreichte noch vor Einbruch der Dämmerung das steile Ufer und den baum- beschatteten Weg, der zwischen frisch-grünem Steppengras dahinführte.

Von der langen Wanderung erschöpft, legte er sich unter einein Maulbeerbaum nieder, dessen großblätteriges Laub ihm ein schützendes Dach gewährte, uni den Schlaf zu suchen. Aber die erregten Sinne hielten den Schlummer fern. Die Nacht war so hell, daß nur wenige matte Sterne am licht­blauen Firmament sichtbar wurden. So faßte Kyaram den Entschluß, sein Suchen nach der Verlorenen auch während der Nacht fortzusetzen.