Heft 
(1897) 10
Seite
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Der Aiesendamm.

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Noch eine Weile führte der Weg am Wasser entlang. Dem Geschwätz der Wellen lauschend, die anschlagend an dem Ufer emporstrebten, glaubte er darin eine mensch­liche Stimme zu vernehmen. Nach und nach wurde sie deutlicher. Einzelne Worte erreichten sein Ohr, dann sein Name, in Tönen leidenschaftlichster Sehnsucht ausgesprochen.

O, diese Stimme! Das Herz des nächtlichen Wanderers klopfte in stürmischer Gewalt. Atemlos lauschend, mit vor­gebeugtem Oberkörper stand er da.

War es Wirklichkeit oder ein Trugbild seiner Sinne? In einiger Entfernung sah er eine weibliche Gestalt schweben­den Schrittes nahen. Nun hatte sie ihn erreicht, und vor ihm stand Aßly, die lang Gesuchte.

Doch bleich war ihr Gesicht, der Augen Glanz erloschen. Sie war in ein graues, entstellendes Gewand gehüllt, das nichts mehr von der berückenden Schönheit ihres Leibes ahnen ließ, und als Kyaram seine Arme ausstreckte, sie zärtlich zu umfangen, wich sie mit abwehrender Gebärde von ihm zurück.

Die Liebenden haben sich gefunden, sind aber für immer getrennt. Mit eigner Hand hat der Vater ein Zauberhemd gewebt, in welches er die schönen Glieder seines Kindes ge­hüllt, um es vor den Anfechtungen einer unverminderten Liebe zu schützen. Und es giebt kein Mittel, dieses Zauber­hemd zu zerstören, keines, es unwirksam zu machen.

Da flammt in ungestillter Sehnsucht einer leidenschaft­lichen Liebe heiße Glut in den Herzen beider auf. Zwei Feuersäulen steigen empor, sich züngelnd zu vereinigen, und die Asche der Liebenden fällt zusammen. Zwei Rasenstücke entsprießen ihr, und die Blüten leuchten in wunderbarer Pracht. Da schießt ein Dornenzweig empor mit starken, spitzen Stacheln, sie zu trennen. Es ist der Glaube. Die Tochter des armenischen Priesters und den jungen Tataren­fürsten soll auch der Tod nicht vereinen.

Der Riesendaww.

(Siehe die Abbildung Seite 68 und 69.)

er Riesendamm (6ckuitt8 OuussrvuzD an der Nordspitze der irischen Grafschaft Antrim, den unser Bild dar­stellt, besteht aus prächtigen Basaltsäulen und ragt 200 Meter weit ins Meer hinein. Das eigentümliche Naturspiel seiner etwa tausend Säulen von gleicher Gestalt steht zwar nicht vereinzelt, es findet sich mit leichten Abweichungen an der ganzen Küste von Antrim, aber nirgends tritt die Regel­mäßigkeit und Gleichförmigkeit dem Beschauer so überraschend vor Augen. Die irische Volkssage erblickt deshalb in dem Riesendamm den Ueberrest der Brücke, die der tapfere Riese Fin Mac Cool gebaut haben soll. Die Naturwissenschaft erklärt die Sache freilich anders; sie nieint, daß die Risse und Sprünge in dem ursprünglich flüssigen Lavastrom von Basalt sich bei dessen Abkühlung durch die Zusammen­ziehung gebildet hätten. Der Riesendamm wird natürlich von Reisenden vielfach ausgesucht; in jüngster Zeit erregte deshalb die Befürchtung, daß der freie Zutritt abgesperrt werden könnte, weite Kreise in England und Irland. Es handelte sich um das Besitzrecht an dem Basaltlager, das ein Vorgebirge bildet zu dem anstoßenden Stück der Meeres­küste. Die Vereinigung der betreffenden Landeigentümer wahrte sich den Besitzanspruch aus das Vorgebirge als ein Anhängsel ihres Eigentums. Das Appellgericht in Dublin hat diesen Airspruch zwar anerkannt, aber doch auch erklärt, daß der dorthin führende Weg öffentlich sei, also nicht ge­sperrt werden dürfe.

Äoöerne

Lenzwillkommen.

s kommt auf lauer Lüfte Wogen Im Hellen Sonnenschein gezogen Lin immer junger, lieber Gast,

Der reget die geschäft'gen Hände Und streuet Blüten aufs Gelände Und Blättergrün auf Strauch und Ast.

Der ruft die Döglein zu Gesängen,

Zur Lebensfülle will er drängen,

Zuin Lichte hin die ganze Welt,

Gr läßt den Wald im Laube wehen,

Die «Duellen voll zu Thale gehen,

Die Saaten sprießen in dem Feld.

Du milder Lenz, auf deinen Schwingen willst auch dea müden Herzen bringen Don neuem einen frohen Mut,

Und wo ein sieches Menschenwesen Auf dich gehofft, laß es genesen,

Du lieber Lenz, mach alles gut!

L. Kuhle.

Nindersehnsucht.

U^usch, husch ging's über die Treppe Durch den Hof ans hölzerne Thor, wenn eben die Sonnenschleppe Sich mählich im Dämmer verlor.

Nur jauchzende Kinderlieber Störten des Gäßchens Ruh'

Im Garten machte der Flieder Schläfrig die Augen zu.

Ich träumte am Thorgewände Hinein in die Frühlingslust Und preßte die Kinderhände Fest auf die wogende Brust;

Und hörte es in mir singen Sehnsüchtig wie Flötenklang

Das Herz schier wollte mir springen In unverstandenem Drang.

Mir war, als müßte ich jagen,

Und laufen und laufen nur Nit dem lustig rollenden Wagen,

Der drüben ins Weite fuhr.

Ins Weite aus Haft und Lnge, hinaus ja, wohin doch gleich?

Uebers Feld, über lachende Hänge Bis mitten ins Närchenreich!

Umrieselt von Blütenffocken,

Schloß ich die Augen vor Glück

Da klangen die Abendglocken Und riefen mit weichem Locken Mein Herz von der Fahrt zurück.

Gertrud Triexel.

Trotzdem!

DMnd sagt dein Mund auch zehnmalnein",

Ich schau' dir doch ins Herz hinein:

Die traumverhüllten süßen Augen,

Die wollen nicht zum Lügen taugen.

Und sagt dein Mund auch zehnmalnein",

Ich schau' dir doch ins Herz hinein:

Die kleine schöne Hand, die plaudert,

Wenn sie beim Abschied zärtlich zaudert.

Paul Baehr.