Heft 
(1897) 10
Seite
92
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Neues vom Nüchertisch.

Von

Aauc von Szczepanski.

^^m gesicherten Besitze aller Segnungen des geeinigten k-E Vaterlandes sind wir heute nur zu leicht geneigt, zu vergessen, welche Leiden die alte deutsche Uneinigkeit über unsre Väter gebracht hat. Möge das Buch auch in dieser Richtung zum Nachdenken anregen!" Mit diesen Worten schließt Graf Ernst von Wedel, Oberstallmeister des Deutschen Kaisers, die kurze Einleitung, die er den Lebenserinnerungen seines Vaters, des Grafen Karl Anton Wilhelm von Wedel, voranschickt. Das Buch trägt, sehr im Gegen­sätze zu der präzisen und in kurzen Worten vielsagenden Darstellnngsweise des Memoirenschreibers, den etwas lang­atmigen, aber seinen Inhalt erschöpfenden Titel:Ge­schichte eines Offiziers im Kriege gegen Ruß­land 1812, in russischer Gefangenschaft 1813 bis 1814, im Feldzuge gegen Napoleon 1816" (Berlin, Verlag von A. Asher L Co.). Graf Karl Anton Wilhelm von Wedel war der Sohn eines preußischen Offi­ziers, der sich nach dem Zusammenbruch von 1806 ge­nötigt sah, holländische Dienste zu nehmen. Nicht eigentliche Passion für den militärischen Beruf, verwickelte Familien­verhältnisse hatten den letzteren zum Soldaten gemacht; er­wünschte daher auch nicht, seinen Sohn die gleiche Karriere einschlagen zu sehen, sondern ließ ihn zuerst in Göttingen und später, als er selbst holländische Dienste genommen hatte, in Utrecht Jura studieren. Im Juni 1810 empfing Na­poleons Bruder, der König von Holland, den jungen Grafen Wedel in Audienz und ernannte ihn zum Auditeur im Staatsrat,um einen Expedienten in deutschen Sachen zu haben", wie der König hinzufügte. Aber das Patent dieser Bestallung wurde niemals ausgefertigt: am 1. Juli

1810 dankte der König bereits ab, und ein einfacher Be- ! fehl Napoleons:1-6 ro^aumk cls Hollanäo 68t reuni am ^ granä empirs" machte am 9. Juli das Königreich zu i einer französischen Provinz. Der junge Graf Wedel bat ! darauf um eine Anstellung in: Staatsrat zu Paris. Die ! Bitte wurde lange nicht beantwortet. Anfangs des Jahres ^

1811 traf endlich ein Schreiben des französischen Kriegs­ministers Duc de Feltre ein, in dem ihm mitgeteilt wurde, daß der Kaiser die Gnade gehabt habe, ihn zum Unter­lieutenant im 31. Regiment der Jäger zu Pferde zu er­nennen, und daß er sich unverzüglich zu seinem Regiment ^ nach Hamburg zu begeben habe. Fast gleichzeitig wurde i

Graf Wedel-Vater zum Gouverneur der Festung Zara in Dalmatien ernannt, Vater und Sohn mußten sich trennen, um sich niemals wiederznsehen. Der junge Lieute­nant wider Willen hatte üatürlich keine Ahnung von mili­tärischen Dingen, als er bei seinem Regiment eintraf. Aber er hatte sich fest vorgenommen, sich schnell einznarbeiten. Kapitän Hatry, mein nächster Vorgesetzter," so erzählt Graf Wedel von den ersten Monaten beim Regiment,war ein sehr liebenswürdiger und tüchtiger Mann. Er bemerkte bald meinen Eifer und guten Willen und ließ es sich an­gelegen sein, mich an sich zu ziehen und mich den Dienst zu lehren. Ich wartete Pferde, packte, sattelte, zäumte, mußte jede Schnalle, jeden Riemen, jedes einzelne Stück der Montur, der Armatur und des Geschirrs beim reglementsmäßigen Namen nennen, die Füße der Pferde beiin Beschlagen halten, ja selbst Reserve-Eisen unterschlagen; er lehrte mich, wie ein ungarischer Sattel gebaut sein müsse, um zum Rücken des Pferdes zu passen, welche Zäumung für die verschiedensten Pferde die angenehmste sei, kurz, jedes Detail, das zum Dienst gehörte. Einige Wochen reichten hin, mich bei täg­licher praktischer Uebung in diesen leichten und einfachen Dingen genugsam zu instruieren. Hatry war ein guter Instrukteur; ich mußte unter seiner Anleitung die Remonten reiten lassen. Ebensowenig ward es mir schwer, dasjenige zu erlernen, was zur Führung eines Zuges beim Ma- i növrieren nötig war. Ich kommandierte und manövrierte unter Hatrys Leitung im Zimmer mit hölzernen Zügen und Eskadronen, die ein Regiment darstellten. Als ich auf diese Weise drei Monate lang den Dienst praktisch im Stall, in der Reitbahn und auf dem Exerzierplatz und theoretisch bei meinein Eskadronschef geübt hatte, wurde Hatry zu meinem großen Bedauern zum aiäs äe camp des Divisionsgenerals Bruyere ernannt und vom Regiment abberufen. Auf Hatrys Wunsch und dringende Empfehlung übertrug mir der Oberst das Kommando der Compagnie, obgleich in den andern Compagnien noch Premierlieutenants, geborene Franzosen, und andre waren, denen er dieses Kommando hätte übergeben können." Als ein Bestandteil der Division Bruyere trat das Regiment im Februar 1812 den Marsch nach Osten an, um sich mit der bei Kowno sich konzentrierenden großen Armee zu vereinigen. Am 23. Juli hatte sich zwischen Schirwindt und Kowno eine unzählige