Heft 
(1897) 10
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Uelier Land und Meer.

der Campagne im Dienst ihrer Herren gestanden hatten, teils junge Leute, die auf den Märschen unterwegs mit- genommen waren, aus Preußen, Polen, Litauen: Gesindel und Vagabunden, die zu Haus kein Brot hatten und auf Abenteuer nusgingen. Mein Joseph war ein solcher. Ich hatte ihm einen polnischen Klepper für zehn Dukaten ge­kauft , der an Ausdauer und Schnelligkeit seinesgleichen suchte. Andre Offiziere hatten Diener angenommen unter der Bedingung, daß sie ein Pferd mitbringen mußten; woher sie es nahmen, darum bekümmerten sie sich nicht. Eigentlich war das nichts andres als der Auftrag, ein Pferd zu stehlen, was damals sehr leicht war und große Begünstigung fand. Wurde der Dieb von dem Herrn des Pferdes verfolgt und kam eine Klage deshalb an den Obersten, so lief der Kerl weg oder bekam eine Tracht Schläge und wurde weggejagt, das heißt er stahl anderswo ein Pferd und kam nach einigen Märschen wieder zu feinem Herrn. Außer diesen Bedienten waren bei jeder Com­pagnie ein Marketender, meist mit seinen: Weibe, einem Kutscher und einen: Pferdedieb als Knechte, dann mehrere Wäscherinnen, die mehr liebevoll als tugendhaft waren. Dieses Gesindel folgte dem Regiment und stand unter der Aufsicht der Schmiede. Während nun die Regimenter in Ordnung auf der großen Heerstraße, oder wohin sie sonst dirigiert waren, marschierten, umschwärmte sie rechts und links, vor- und rückwärts dieser Troß von berittenem Ge­sindel oder, um es gleich beim rechten Namen zu nennen, diese große Räuberbande, die ihren Stützpunkt bei der Truppe hatte. Jeder von ihnen hatte große und kleine Säcke und Beutel bei sich, um seine Beute darin zu bergen, und war mit Säbel, Pistolen, auch Karabinern, wem: sie solche gefunden, bewaffnet. Diese Räuberbanden zogen oft mit großer Dreistigkeit weit seitwärts und brachten den Truppen Lebensmittel zu, wenn sie zurückkehrten. Das Geschäft war gefährlich, und mancher von ihnen büßte dabei sein Leben ein, wenn er in die Hände der wütenden Bauern fiel. Mein Joseph war ein dreister und kluger Junge, der zu den besten seiner Art gehörte und in seinen Beuteln und Säcken bald dies, bald jenes mitbrachte: Korn aller Art für die Pferde, Brot, Speck, Federvieh, Stücke Fleisch von allem möglichen Vieh, Grütze, Hülsenfrüchte, Kohl, Kartoffeln, Branntwein, Mehl, Talg und dergleichen. Ich gab ihm dam: jedesmal einige Groschen oder notierte in seinem Buche, welches er mit sich führte, die Summe, welche ich ihm geben wollte, wenn wir zurückgekehrt seien. Es war das nötig, weil diese Diebe sonst ihre Beute an die Marke­tender verkauften und mit leeren Händen zurückkamen, die Marketender aber sich die Sachen teuer, gewissermaßen meistbietend abkaufen ließen. Von: eignen Bedienten kaufte man am wohlfeilsten, was er gestohlen hatte. Ich fragte Joseph nie, woher er die Sachen habe. Wenn wir die Avantgarde hatten, pflegten die Bedienten mit gefüllten Säcken heimzukehren; war aber die Armee konzentriert, wie bei Smolensk, Borodino und auf den Märschen vor Mos­kau , dann siel die Verproviantierung sehr schmal aus; teils war des Gesindels zu viel, die unbesetzten Orte, wo etwas zu finden war, zu entfernt, teils aber auch, weil die hungernden Soldaten den heimkehrenden Fourageurs ihre Beute ohne alle Umstände abnahmen, worin besonders die kaiserliche Garde sich auszeichnete, welcher die Fourageurs daher so weit wie möglich aus dem Wege gingen. Dieser Schwarm von Plünderern bildete auch eine Art von Seiten­patrouille für die Armee, indem sie mit großen: Geschrei und im vollen Laufe zurückkehrten, wenn sie aus feindliche Truppenabteilungen stießen. Wenn wir in: Biwak an­kamen, welches, wenn möglich, in der Nähe eines Dorfes ge­wählt wurde, übernahm Rosemann die Sorge für die Pferde. Er schlug die Kampierpsähle ein, band die Pferde daran und ging dann mit Joseph, um, wenn möglich,

Heu, Stroh, Latten und Stangen herbeizuschaffen, während ich bei den Pferden blieb. Fanden sie, was sie brauchten, so wurden die Kampierpfähle mit einer Latte durch Stricke verbunden und die Pferde daran gebunden. Dann gingen wir alle drei daran, ein Schutzdach gegen Wind, Sonne oder Regen aus Latten, Brettern, Zweigen und allem, was sonst dazu geeignet war, mit Strohseilen zusammen­zubinden. Darüber wurde eine geteerte Leinwand hingelegt, welche auf den: Marsche über den: Handpferde lag, und über ihr, wenn es zu haben war, grünes Getreide oder Stroh, das oft die Dächer lieferten, ausgebreitet. Gleichzeitig machte Joseph ein Feuer an, holte vom Handpferde die Bratpfanne und die Kasserolle, sowie den Feldkessel und begann, während Rosemann die Pferde wartete und fütterte, mit mir das Essen zu bereiten. Wir aßen dann alle drei aus einen: Topfe und schliefen nebeneinander unter einem Obdach. Mir gebührten das beste Stück (wenn es Joseph nicht schon unterwegs verzehrt hatte) und der beste Platz; übrigens teilten wir alles wie Brüder. Nichts nähert die Menschen mehr und verwischt mehr den Unterschied unter ihnen als gemeinsame Not und das gegenseitige Bedürfnis der Hilfe; gleichwohl setzten meine beiden Leute nie den Respekt gegen mich außer Augen." An: Morgen nach der Schlacht von Borodino machte Graf Wedel, von: Hunger getrieben, einen Ritt über das Schlachtfeld, um nach etwas Genießbarem Umschau zu halten. Dieser Ritt brachte ihn: zwei unerwartete Begegnungen.Es mochte gegen acht Uhr- früh sein," erzählt Graf Wedel,und ich war noch nicht lange geritten, als ich einen Trupp Reiter sich mir nähern sah. Es war, mit den: kleinen Hute und dem rehfarbenen Ueberrock, der Kaiser, der mit einer kleinen Suite das Schlachtfeld besichtigte. Ich hielt mein Pferd an und sah Napoleons ernstes, unbewegliches Gesicht. Die Tausende umherliegender Toter würdigte er keines Blickes, sein Auge schweifte kalt darüber hin; nur das Terrain und besonders die Verschanzungen schienen seine Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Da es mich lebhaft interessierte, einmal den Kaiser in der Nähe zu sehen, schloß ich mich dem Zuge an. Napoleon ritt nach der Redoute von Somenowska, wo die Kartätschen ganze Reihen stürmender Infanterie niedergefchmettert hatten. Hier lagen die Leichen in dichten Hausen. Da richtete sich langsam aus der Mitte der Toten ein Körper auf, und ein blasses, blutiges, von Pulver­dampf geschwärztes Antlitz stierte den Kaiser an und rief mit hohlem Grabeston: ,Vivs l'Ilmpsrsur!^ Da warf der Kaiser, der nur die Redoute angesehen hatte, einen Blick auf den Rufenden, und seine Miene schien Schauder und Mitleid auszudrücken. J'uurai soin äs toi, mon dravsst rief er ihm zu und sprengte gleich darauf weiter. Ein Offizier und einige Soldaten der Eskorte nahmen den Schwerverwundeten, dem ein Bein zerschmettert war, auf und trugen ihn fort. Ich hatte mich bei dieser Scene zu lange aufgehalten, um den: Kaiser folgen zu können. Ich ritt an der großen Redoute von Gorska, dem Grabe des tapferen Caulincourt vorüber. Hier lagen die Hausen Toter am dichtesten. Unfern von da gewahrte ich west­fälische Gardeducorps; als ich dicht vorüberritt, erhob sich ein Offizier, der aus der Hüfte eines toten Pferdes saß, sah mich verwundert an und rief: ,Wedel, du hier? Mein Gott, Vussche, du bist es? Rasch war ich von: Pferde. Es war Bussche-Münch, mein alter Universitäts­freund aus Göttingen, von dem ich, seitdem ich Göttingen verlassen, nichts gehört hatte. Er war westfälischer Garde­ducorps, Offizier und Adjutant des Generals Hans von Hammerstein-Equord. Er lud mich zun: Frühstück ein und füllte außerdem meinen Fouragebeutel mit Reis und Brot. Wir blieben einige Augenblicke zusammen und freuten uns, unter so vielen: Elend gesund und kräftig zu sein, und versprachen, uns aufzusuchen, so oft unsre Corps sich treffen