Heft 
(1898) 05
Seite
82
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Weber Land und Weer.

M 5

Kme Mnlllcrftsirt inilki Kalk-Alien.

Humoristische Erzählung

KirrkL Gckber/g.

(Fortsetzung.)

^Alasphyra öffnete den Käfig des Papageis.

Komm, Batuschka. Ned nicht so viel."

Nach einem leichten Schlag aus den Schnabel hielt sie ihm die Hand hin. Er kletterte eilfertig auf ihrem Arm empor bis auf ihre Schulter, wo er ihre krausen Nackenhärchen durch den Schnabel zog und mit ihrem rosigen Ohrläppchen spielte. Sie sah auf ihn nieder und liebkoste ihn durch leichte Bewegungen ihres schönen Hauptes.

Wo haben Sie ihn her?" fragte die Spatz, die gleich mir empfand, daß ein so geliebter Gegen­stand unbedingt aus einer geliebten Hand stammen mußte.

Aus Warschau."

Das war zu dürftig für die Spatz. Sie ahnte den Geber wohl, aber sie wollte ganze Gewißheit haben.

Vom Händler?"

Nein. Von einem Bekannten."

Namens..."

Glasphyra zögerte unentschlossen.

Es ist ein Andenken meines Klavierlehrers," sagte sie halblaut.

iVIoja koellaakn," gurgelte der Vogel plötzlich mit einer Weichen, zu Herzen gehenden Männer­stimme.

Glasphyra lächelte und neigte zärtlich gegen ihn das Haupt. Er schmiegte sich behaglich an ihren dunkel getönten Hals und gab sich träumerisch wohligwarmen Empfindungen hin. Er sah aus, als hinge er lieben, süßen Erinnerungen nach.

Süße Glasphyra," gurgelte er plötzlich wie vorhin,küsse mich noch ein einziges Mal."

Wie sie zusammenfuhr! Wie ihr feurige Glut ins Antlitz schoß! Wie ihre beiden Hände zu gleicher Zeit in unbewußter Hast nach dem Vogel griffen und ihn scheu umhüllten, um den Verräter ihrer Geheimnisse zu verbergen und weitere Indiskretionen zu verhüten.

Zum Ueberfluß sagte die Spatz:Ist denn der Herr Stenscewicz verheiratet?"

Ja," schoß es ihr von den Lippen.

Schade," meinte die Spatz bedauernd. Dann zwinkerte sie mir zu. ,Das kennt man/ sprach ihr Blick; ,in solchen Fällen sagt man nicht das, was wahr ist, sondern das, was zu dem Kram paßt/

Jene steckte den Vogel in den Bauer und suchte uns ihr erglühtes Gesicht zu entziehen. Er spricht nichts wie dummes Zeug," murmelte sie kaum ver­ständlich.Nichts wie dummes Zeug spricht er."

Da wurde ans Fenster geklopft.

Glasphyra erschrak sichtlich, war indessen sofort beruhigt, als sie Cohns breite Gesichtszüge hinter den Scheiben sah. Nickend ging sie, ihn einzu­lassen.

Kaum gewahrte Batuschka den Eintretenden, als er sogleich mit zischender, galliger Stimme ausstieß:

Ein Schuft ist der Levison. Ich will's ihm eintränken."

Isidor lachte:Dem hat die Goldstein schon oft den Hals umdrehen wollen."

Und warum thut sie's nicht?" fragte die Spatz.

Weil ich ihr Hab' gesagt, ich würd' ihr schaffen 'nen Käufer mit hundert Thaler für den Papagei. Sie muß doch den Papagei haben, wenn der Käufer kommt." Er grinste.

Sie hat ihn ja"

Er ist mein," sagte Glasphyra schroff und trug den unheimlichen Vogel hinaus.

Stellen Sie ihn ja zu den andern Sachen," zischelte Cohn ihr nach;sonst bleibt er womöglich hier."

Dann ging er betrachtend und musternd im Zimmer herum.Es ist ja fast alles neu," wendete er sich an die wiederkehrende Glasphyra.

Alles bis auf die Gardinen."

Und einige Bronzen."

Joel hat kürzlich ein sehr gutes Geschäft nach Rußland gemacht. Auch nach Goluchow ins Posensche

sind eine Menge Sachen gegangen. Fürstin Ezar- toriska hat auch gekauft. Das hier haben wir erst seit vierzehn Tagen."

Für den großen Teppich wüßt' ich 'nen Käufer. Was soll er kosten?"

Sie schlug ein Rechnungsbuch aus, das sie aus dem Schubkasten ihres Waschtisches herausnahm, blätterte, suchte mit dem Finger unter den ver­zeichnten Gegenständen und nannte einen Preis.

Cohn wiegte den Kops. Jetzt konnte es die Spatz vor Fragesucht nicht mehr aushalten.

Ei du meine Güte, ist denn daS alles ver­käuflich gehört denn das nicht alles Ihnen?"

Mir?!"

Glasphyras Antlitz nahm den Ausdruck an, den Kinder des Volkes haben, wenn Not und Elend sie quält; ihre Stimme klang wie die einer andern Person, heiser und farblos:Mir gehört nichts, gar nichts. Mir gehört nichts wie einige Kleider," sie sah an dem einfachen weißen Nessel herab, den sie trugdie man mir geschenkt, und der Vogel, den ich hinausgetragen habe."

Wir starrten sie an, als hätte sich ihr Gewand plötzlich in Lumpen verwandelt. Vielleicht war es dieser unser geradezu entsetzter Blick, der sie erröten ließ.

Jetzt siel Cohn ein:Aber steht Ihnen nicht alles offen?" Können Sie nicht werden reich, sehr reich, wenn Sie nehmen den Levison?" Er lachte hämisch.Ja, die Frau Goldstein sorgt gut für ihre Nichte! Was braucht's zu sein ein guter Mann und ein schöner Mann, wenn's nur ist ein reicher Mann! Sammet und Seide und 'ne Equipage, und im Sommer erster Klasse nach Heringsdorf oder Harzburg. Und immer der Levison dabei mit seinem guten Herzen voller Liebe und Zärtlichkeit!"

Nie wieder habe ich die Worte Liebe und Zärt­lichkeit mit einem so widerwärtigen Ausdruck in Gesicht und Stimme aussprechen hören, wie Cohn sie in diesem Moment von sich gab.

Glasphyra schauderte. Hier hatte jedes Wort für sie einen Stachel. Jedes Wort schlug Funken aus ihrer Seele. Ihre Züge stählten sich. Ein wilder Trotz sprühte aus ihren Augen. Sie hob das Haupt.

Nie!" stieß sie durch die Zähne hervor.

Pscht, pscht!" machte Cohn.Lassen Sie 's nicht hören die Frau Goldstein! Immer saust! Immer nachgiebig! Der Levison ist reich; der Levison macht Geschäfte mit zehn Perzent Zuschlag; der Levison wird bauen ein Hotel mit Berliner Komfort. Der Levison ist ein guter Geschäftsmann. Wenn er erst hat eine bildschöne Frau, werden die guten Kunden zuströmen von nah und fern zun: Berliner Komfort. Und wenn der Stenscewicz wird auf seinen Kunstreisen Nempen passieren, wird er natürlich auch wohnen wollen mit Berliner Komfort, und der Levison wird ihm geben nu, was wird er ihm geben? ein Kämmerchen unter dem Dache zu einer Mark fünfzig."

Verächtlich warf er die letzten Worte über die Achsel.

Ich sah, wie Glasphyra bebte, wie die nieder­gekämpfte Empörung ihr feuchte Tropfen aus den Schläfen preßte. Ich erwartete, sie in Thränen ausbrechen zu sehen, aber umsonst.

Lassen Sie's gut sein, Herr Cohn, man kann die Zukunft nicht ergründen."

Alles, was sie sprach, klang gemessen und klug.

Jetzt wurden über den Flur herüber Stimmen laut.

Wenn Sie hätten höflich gebeten, hätt' ich Ihnen vielleicht gegeben den Schlüssel," rief Frau Goldstein mit einer Stimme wie eine Querpfeife.

Durch Mecerinos lakonische Antwort bebte Haß und Wut.Was kauf' ich mir für ,vielleicht fl"

Wollen Sie nochmal bitten, wie es sich gehört? Hier ist öer Schlüssel..."

Ein Recht erbitten? Wenn Sie den Flügel geborgt haben und ich konzertiere, kommt mir der Schlüssel einfach zu!" Die Antwort dröhnte, als ob er sie einem Tauben verständlich machen wollte.

Das geht schief," murmelte Cohn ängstlich, schlich an die Thür und öffnete sie ein wenig. Die gegenüberliegende Thür war nur angelehnt. Sehen konnten wir nichts, aber hören alles.

Zu? -zu?" kreischte die Goldstein. Und

dann im Kontrabaß gerechter Entrüstung:Sie werden sehen, was Ihnen zukommt. Ich Hab' den Schlüssel in der Hand; aber Sie werden sich gefälligst gedulden bis heute abend."

Dann reisen wir ab!" donnerte er außer sich.

Eine kalte Hand umklammerte plötzlich die meine. Nur das nicht!" stammelte Glasphyra mit blassen Lippen.Ich ich" Sie hatte ihr Gleich­gewicht vollständig verloren.

Reisen Sie, reisen Sie!" rief die Goldstein. Ich werde Sie nicht halten."

Ich würde mich von Ihnen auch nicht halten lassen!" ging Mecerino zum persönlichen Angriff über.

Wenn Sie nicht geben 's Konzert, brauch' ich nicht zu geben den Flügel!"

Na, dann kochen Sie ihn sich sauer!"

Wenn Sie nicht geben 's Konzert, gut, - - so sind Sie mal zum Vergnügen auf Ihre Kosten gewesen in Rempen."

Ihr schneidender Hohn, gegen den seine kurzen Wutausbrüche ohnmächtig abprallten, mußten Me­cerino, wie ich ihn kannte, rasend machen.

Er wird sie noch erdrosseln, wie er geschworen,"

^ stöhnte Cohn, und seine Prophezeiung schien sich ! zu erfüllen, denn jetzt ertönte drüben ein anhaltender Schrei, gleich dem Pfiff einer Lokomotive.

Wir stürzten auf den Korridor und karam­bolierten mit Mecerino, der wie ein wilder Eber unsre Reibe durchbrach und in geschlossener Faust den gewaltsam errungenen Schlüssel hielt. Die Gold­stein lag, wie eine Entseelte, mit gelösten Gliedern im Sessel.

! Wir alle standen einige Augenblicke wie gebannt, z Das Rasseln des von Mecerino heftig gerüttelten ^ Thürschlosses, ehe er entrann, machte den Eindruck, als ob ein Verbrecher seine Gefängniszelle sprengte. Vor uns daS blaurote Gesicht der Goldstein ... Es war wirklich zum Erstarren.

^ Glasphyra war diejenige, die sich zuerst regte.

' Man las ihr das Widerstreben, mit dem sie sich zu der Hingestreckten begab, aus den Bewegungen.

Am Ende hat sie wirklich der Schlag gerührt,"

! tuschelte die Spatz und zog mich fluchtbereit in den ! Korridor zurück. Isidor hatten die Kniee vor Schrecken den Dienst versagt. Er war auf den Rohrstuhl neben der Thür niedergebrochen.

Glasphyra beugte sich langsam über die Ohn­mächtige. Ihr Gesichtsausdruck war eisig, als sie murmelte:Tante. . ." Dabei faßte sie die schlaff über die Lehne herniederhängende Rechte der Frau und versuchte sie zu reiben.

Mit einem Male schnellte die Totgeglaubte empor. Er ist doch weg?" fragte sie flüsternd.

Mit einem Seufzer der Erleichterung stieß Isidor aus:Ja er ist weg!"

Glasphyra" die Goldstein wischte sich mit ^ ihrem Taschentuch übers erhitzte Gesichtgieb mir's Niechsalz. Es giug mir auf die Nerven."

Glasphyra glitt schweigend davon und brachte ihr automatenhaft das Gewünschte. Jetzt griff Cohn in die Handlung ein. Auf den großen Zehen schlich er zu der Angegriffenen und sagte teilnehmend:

Ist Ihnen noch immer schlecht, Frau Gold­stein?"

Sie sah ihn mit Augen an, als ob sie ihn durch­bohren wollte.

Schlecht? Wie heißt schlecht?" versetzte sie mit ungebrochener, kräftiger Stimme.Ist mir gar ^ nicht schlecht gewesen. Pf Pf wenn ich nicht ! gefallen wär' in Ohnmacht, hätt' er mich erwürgt ^ bei lebendigem Leibe. Wenn ich ihm nicht gelassen hätte den Kommodenschlüssel in meiner Hand, hätt'

! er mir gerissen den Schlüssel zum Flügel aus der ^ Tasche. Das ist ja ein fürchterlicher Mensch, der , Mecerino! Hätt' ich das vorher gewußt, dann hätt' ich ihn nicht eingeladen unter meine Gäste."

Spätzchen bekam beinahe einen Lachkrampf und stopfte sich als Dämpfungsmittel ihr Taschentuch in ! den Mund. Aber es entwichen ihr dennoch un- ^ beschreibliche Töne.

Wer ist denn da noch?" fragte die Goldstein ; argwöhnisch und erhob sich, um selber nachzusehen. Ach so, die Damen."

^ Wir grüßten, so gefaßt als es uns möglich war.

Sie musterte uns wieder von oben bis unten.Ist ! das ein Grobian!" schleuderte sie uns dann mit