Heft 
(1.1.2019) 07
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Zur Sonnenhöhe.

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Conrad hielt ihn jedoch zurück nnd sagte:Nein, Heinrich, laß uns noch allein. Ich muß mich erst wiedersinden in der langentbehrten Heimath, und die glücklichste Fügung des Schicksals führte mir gerade den liebsten Freund in dieser Stunde ent­gegen. Ach, Heinrich, wie geht mir das Herz auf in dieser Luft, im Schatten dieser Zweige, an der Schwelle dieses Häuschens! Kindheitsglück und Ju­gendträume stehen wieder vor mir auf, und mir ist's, als müßte ich die Brust erst rein baden von den Lockungen der Welt, von dem Reiz des Ehr­geizes, den Sirenenklängen der Eitelkeit, bevor ich vor das Vaterantlitz treten, bevor ich der Geliebten ins Auge sehen darf," nnd müde sank er auf die Bank unter dem Lindenbaum.

Erschreckt hatte Falk ihm zugehört, lind mit einem Blicke erkannte er Conrad's Zustand. Der Freund war krank, leidend, vielleicht weniger körper­lich, als im Gemüthe, nnd das bekümmerte ihn tief. Das war der frische, treuherzige, heitere Freund von ehedem nicht mehr; was war nur mit ihm vorgegangen, was hatte ihn so ungewöhnlich zu verändern vermocht?

Ich begreife Dich nicht," sagte er nach einer kleinen Pause.Ich hatte gedacht, ich würde Dich, das verwöhnte Kind des Glückes, im Glücke wieder­finden, und nun scheine ich, der Pechvogel, zufrie­dener als Du, und mich erwartet doch kein Vater und keine Geliebte."

Mißverstehe mich nicht," entgegnete Conrad. Du kennst meine Jugend, meine bescheidene, glück­liche Jugend."

Wir saßen aus derselben Schulbank; Deine glänzenden Anlagen, Dein Ehrgeiz trieben Dich, immer der Erste zu sein; ich schob so von Weitem nach. Wenn wir hier unsere Ferien zubrachten, kamst Du nicht von den Büchern fort, und ich fing Schmetterlinge, secirte Mäuse, stopfte Vögel ans; Du bekamst eine Prämie nach der andern, wäh­rend ich oft genug im Carcer brummen mußte. Nun, das ging vorüber, und ich komme jetzt mit tüchtiger Ausbeute heim von langjährigen Reisen, die freilich mein kleines Vermögen bis auf den letzten Heller verschlangen, aber für meine geringen Ansprüche wird mein Wissen schon Rath schaffen."

Eine Stellung an der Universität kann Dir nicht fehlen. Ich habe einigen Einfluß; verlasse Dich auf mich!"

Falk lehnte die angebotene Hülfe dankend ab. Erst wollte er sich in der deutschen Heimath wieder zurecht finden, seine naturwissenschaftlichen Samm­lungen ordnen, seine Reiseberichte redigiren und veröffentlichen; nachher wollte er weiter sehen, Pläne machen, abwarten, was sich ihm bieten würde.

Und Du?" fuhr er fort,welchePläne, welche Aussichten hast Du für die Zukunft? Du bei

Deinem Talente, Deinem Wissen solltest Du keine glänzende Carridre vor Dir haben?"

Vielleicht eine zu glänzende," erwiderte Con­rad seufzend;man will mich in der Residenz fest- halten, der Minister will meine Arbeitskraft nicht missen, man zieht mich in die Gesellschaft, stellt mir eine Zukunft in Aussicht."

Falk beglückwünschte ihn herzlich, aber Conrad entgegnete kopfschüttelnd:Das würdest Du nicht sagen, wenn Du die Gesellschaft, die Wege zur glänzenden Laufbahn kenntest. Du gewiß nicht. Dir kann ich es ja gestehen: den armen Schnlmeister- sohn, der mit Stipendien und Freitischen seine Studien machte, berauschte es, als er sich schon früh plötzlich in den Kreis hineingezogen sah, der ihm so unerreichbar erschien, aber dann dachte ich meines alten schlichten Vaters, meiner einfachen halbgebildeten Base Barbara"

Die würden sich freilich wunderlich ausneh­men in Deinen vornehmen Kreisen Bärbi zu­meist."

Conrad stand auf.

Alles", sagte er,habe ich von mir gewiesen. Eine bescheidene Stellung hier in der Nähe habe ich mir erbeten; die Residenz und ihre Lockungen will ich vergessen, mit dem Vater will ich leben, an der Seite meines Bärbchens" und indem er sich heftig erregt an Falls Hals warf, fuhr er fort: Ist das nicht das wahre, das einzige Glück? Wie habe ich mich danach gesehnt, und seit ich hier bin, wie tritt es mir doppelt freundlich entgegen! Mein Vater, Bärbi dürfen nicht wissen, daß ich es mir in schwerem Kampf errang. Aber er ist ausge­kämpft, das glaube mir, Heinrich!"

Der Ton, in welchem er dies alles vorbrachte, vermochte Falk nicht zu überzeugen. Je mehr Con­rad sprach, je mehr er betonte, daß er diejenigen nicht beneide, die für die vornehmen Kreise geboren und erzogen, mit Leichtigkeit oft das erreichen, was Anderen zu erreichen trotz alles Talentes und trotz aller Arbeit nicht gelingt, desto mehr fühlte Falk, daß der Freund sich nur selbst zu täuschen bemüht war, daß er im Grunde des Herzens ganz anders dachte und fühlte, und daß er keineswegs so resig- nirt sein konnte, als er erscheinen wollte.

Ich dächte," sagte er deshalb,auf das, was wir durch eigene Kraft, durch eigenes Verdienst er­rangen, könnten wir stolzer sein, als auf die Vor­züge, die Geburt und Glück uns unverdient zu­wiesen."

Du kennst die Welt nicht," entgegnete Conrad. Laß Dir ein Begegniß erzählen, das mir einst die Zornröthe in die Wangen trieb, und über das ich heute lächle. Vor vier Wochen etwa war ich auf einer glänzenden Soiroe bei dem Minister. Ich hatte ein brillantes Musikstück auf dem Klavier

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