Zur Sonnenhöhe.
293
thun, genügten einander, Bärbi hatte fast nur für jene noch Augen und Sinn, und das war ja natürlich. So machte er denn, ohne es zu wissen oder zu wollen, ein trübes Gesicht, und Bärbi's scharfe Augen entdeckten das bald, als sie mit dem Tischtuche wieder in's Freie trat. Mit komischer Angst bat sie ihn deshalb, doch wieder seine „alten Späße" zu machen, „daß wir nicht dasitzen an dem Glückstag, wie die Oelgötzen."
Heinrich, der sich schnell eine vergnügte Miene anzunehmen bemühte, wollte soeben auf ihre Bitte antworten, als er durch das Erscheinen von zwei Personen unterbrochen wurde, welche die Straße heraufkamen und gleich darauf herantraten. Eine junge Dame, deren schlanke, elegante Figur vortrefflich mit einem hübschen Gesichte harmonirte und die in ihrer geschmackvollen Promenaden-Toi- lette entzückend aussah, war die erste dieser Personen, die andere ein junger Mann von etwa zwanzig Jahren, dessen Aenßere den blasirten, frühzeitig alternden geckenhaften Jüngling einer jon- N6886 äoi'66 verrieth, die da glaubt, daß das Leben ein Vergnügungslocal sei und sie selbst in diesem Saale vor allen andern ein ganz besonderes Privilegium habe.
Mit herablassendem Kopfnicken begrüßte die junge Dame Bärbi, welche den oberflächlichen Gruß mit tiefen Knixen erwiderte, und fragte, ob der Schulmeister daheim wäre, zugleich das Mädchen beauftragend, ihn davon in Kenntnis; zu setzen, daß ihr Klavier verstimmt wäre.
„Sogar horrible," schnarrte der junge Herr, Franz von Wenkenstern.
„Und da wir heute Abend Gesellschaft bei uns sehen, etwas mnsiciren wollen," fuhr das Fräulein fort, „so bitte ich Herrn Bronker gleich auf's Schloß zu kommen und das Instrument zu stimmen."
„Jawohl, gnädiges Fräulein Meta," entgegnete Bärbi. „Aber der Onkel ist soeben erst nach Hanse gekommen, hat noch nicht gegessen, und dann, wenn's nicht gerade heute sein müßte —"
„Gerade heute muß es sein, auf der Stelle muß es sein; sagen Sie das nur, mein schönes Bärbchen, dem alten Paukier, dem Schulmeister," bemerkte der junge Herr und versuchte Bärbi dabei in die Wangen zn kneifen, die ihm jedoch geschickt auswich, während Meta ihm nicht blos diese Unart durch einen strafenden Blick verwies, sondern, um seine unpassenden Worte wieder gut zu machen, ausdrücklich zu Bärbi betonte, daß sie Bronker's Erscheinen als eine Gefälligkeit ansehen würde. In diesem Augenblick trat Bronker selbst aus der Thüre, und, da er Meta's letzte Worte noch gehört hatte, bat er um Entschuldigung, daß er nicht sogleich kommen könnte.
„Ach was," schnarrte Franz, „machen Sie nur
keine unnützen Schwierigkeiten, Alterchen. Wir bezahlen Sie ja —"
„Mein Sohn ist soeben angekommen," sagte Bronker, ohne auf den trefflichen Jüngling weiter zu achten oder ihm ein Wort zu erwidern, „und nach fünfjähriger Trennung habe ich ihn kaum begrüßt. Da ist er selbst."
Conrad war aus dem Hause getreten; als Meta ihn erblickte, zuckte sie unwillkürlich zusammen und rief seinen Namen.
„Ah, das gnädige Fräulein," sagte er, sich höflich, aber kalt verbeugend. „Gnädige Baronesse entsinnen sich meines Namens noch. Ich glaubte wirklich, Sie hätten ihn längst vergessen."
Meta erbleichte; aber schnell bezwang sie sich, und mit den Worten: „Seien Sie mir gegrüßt in der Heimath, Herr — Conrad," streckte sie ihm ihre kleine, zierliche Hand entgegen.
„Ich danke Ihnen, Fräulein — Meta," entgegnete Conrad, ohne ihre Hand anzunehmen.
Dem Vetter Franz wurde die Situation unbehaglich. Bronker und Falk schienen seine Anwesenheit gar nicht bemerken zu wollen, Bärbi hielt sich scheu in der Entfernung und Conrad war, wie es ihm vorkam, gegen Meta von einer geradezu verletzenden Gleichgültigkeit, als ob er gar nicht wüßte, welche Devotion man Leuten aus dem Ge- schlechte derer von Wenkenstern schuldete. Deshalb suchte er der peinlichen Scene ein Ende zu machen.
„Komm, Cousine," sagte er, verlegen seinen dünnen Schnurrbart drehend, „wenn der Alte nicht will, vielleicht übernimmt es dann der Herr Conrad, den Klapperkasten in Ordnung zn bringen. Ich entsinne mich, daß er sich früher darauf verstand. Vielleicht spielt er uns auch heute Abend einige Stunden znm Tanze auf."
Conrad hörte den Jüngling schweigend an. Meta, welche fürchtete, daß das Unpassende in Franzens Rede Conrad zn einer heftigen Entgegnung reizen würde, suchte einzulenken, indem sie sich freundlich an Bronker wandte und ihm bemerkte, daß sie allerdings einsähe, daß sie heute ihn nicht in Anspruch nehmen dürfte. Dann wandte sie sich an Conrad, und ihm noch einen Schritt näher tretend, begann sie: „Lieber Herr Con
rad —"
„Aber Cousine, welche Umstände—" unterbrach der Vetter sie.
„Mein Vetter Franz weiß nicht, wen er vor sich hat," nahm Meta jetzt schnell das Wort, „er würde sonst nicht daran gedacht haben-"
„Er weiß, daß ich der Sohn des Schullehrers hier im Dorfe bin," unterbrach sie Conrad, „weiter wußten Sie ja auch nichts von mir, als wir uns das letzte Mal begegneten. Er fordert mich auf, Ihr verstimmtes Klavier in Ordnung zu