Frau Eva.
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und alles, was zwischen Ihnen und dem Verstorbenen vorgefallen ist, genau zu beschreiben," sagte er. „Zunächst sagen Sie mir, weshalb der Baron Sie aufsuchte? Was wollte er?"
„Ich sagte Ihnen schon einmal, das betrifft eine Privatangelegenheit, die ich mich nicht für befugt halte, zu erörtern."
„Ich mache Sie daraus aufmerksam, daß diese Erörterung sehr wichtig für Sie sein würde."
„Ich kann nur wiederholen, daß er mein Freund war und kam, um einen Freundschaftsdienst zu erbitten."
„Den Sie ihm abschlugen?"
„Nicht ganz — im Uebrigen werde ich nicht weiter auf Fragen antworten, die sich auf unser letztes Gespräch beziehen."
Die Thür wurde hastig ausgerissen. Auf der Schwelle stand der alte Baron Hersall. Einen flüchtigen Blick warf er auf den Richter, dann näherte er sich schnell.
Einige Minuten früher hatte eine erschütternde Scene stattgefundeu. Der alte Herr hatte sich in schmerzlicher Bewegung über dieLeiche seines Sohnes geworfen, den er in seiner Weise innig lieb gehabt. Kurze Zeit hatte er sich ganz dem Schmerze hingegeben, dann aber hatte er sich erhoben, ein wetterfester Kämpe, bereit, sein todtes Kind zu rächen, wie er bereit gewesen wäre, dasselbe, so lange es lebte, um jeden Preis und gegen Jedermann zu vertheidigen, und es nach seinem besten Wissen glücklich zu machen — wenn es hätte sein müssen, gegen des Kindes eigenen Willen.
Nur wenige Worte wechselte er mit dem Förster, der ihm mittheilte, was die bisherigen Vernehmungen ergeben hatten. Er nickte, als höre er längst Bekanntes und verlangte den Richter zu sprechen. Man führte ihn in das Zimmer, in welchem dieser eben mit Horst's Vernehmung beschäftigt war.
Nun schritt er an Horst vorüber, ohne dessen stummen Gruß zu sehen oder zu erwidern, graden- wegs auf den Richter zu.
„Haben Sie den Mörder meines Sohnes gefunden?" fragte er mit seiner tiefen, grollenden Stimme, die noch ein wenig zitterte von der schmerzlichen Bewegung, der er sich an der Leiche seines Sohnes hingegeben hatte.
„Wir suchen ihn, Herr Baron, und seien Sie überzeugt, es wird alles geschehen —"
„Nun," unterbrach ihn der alte Herr ungeduldig, „ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, daß es nur einen einzigen Menschen auf der Welt giebt, der ein Interesse an dem Tode meines Sohnes haben konnte, und dieser einzige —" er wandte sich an Horst und sah ihm grade in die Augen:
„Dieser Einzige sind Sie, Assessor von Hagen."
Horst hatte von dem ersten Augenblick an, als man den Todten aufgefunden, das Gefühl gehabt, als lege sich eine unsichtbare Schlinge nach der andern um ihn, schnüre ihm Kopf und Hände zusammen und führe ihn einem dunklen Verhängniß entgegen, vor dem es kein Entrinnen gab. Diese letzte, directe Anklage fand ihn daher verhältniß- mäßig ruhig.
„Motiviren Sie diese Anklage, Herr Baron," erwiderte er gefaßt aber mit bleichem Gesicht, aus dem die großen, übernächtig umflorten Augen seltsam traurig, fast wie die eines Schuldbewußten, hervorblickten.
„Ich will sie motiviren," fuhr der Baron fort, „und ich denke, ich kann es. Erinneren Sie sich des gestrigen Morgens. Ich traf Sie, von dessen Beziehungen zu meiner Schwägerin ich nichts ahnte—"
„Ich habe keine besonderen Beziehungen zu dieser Dame."
„Nun denn, sagen wir Begegnungen statt Beziehungen — ich traf Sie an einer abgelegenen Stelle des Waldes in vertraulichem Gespräch mit ihr, was mir um so mehr auffiel, als ich Ursache hatte, meine Schwägerin als die Braut meines Sohnes zu betrachten. Ich führte meine Schwägerin fort — mein Sohn, der mich begleitet hatte, blieb in lebhaftem Wortwechsel bei Ihnen zurück—"
„Unser Wortwechsel war ein durchaus freundschaftlicher —"
„Ich bitte, daß Sie die Aussage des Baron Hersall nicht unterbrechen," sagte der Richter, und der Baron fuhr fort:
„Diese Begegnung gab Veranlassung, daß wir in der Familie beschlossen, die Verlobung meines Sohnes mit meiner Schwägerin zu veröffentlichen, mein Sohn, mit dem ich darüber sprach, erklärte, vorher noch eine Angelegenheit, die er mir nicht nannte, ordnen zu müssen. Wir beschlossen, die Verlobung am nächsten Tage zu veröffentlichen, mein Sohn Karl begab sich — jedenfalls um diesen Herrn zur Rede zu stellen, nach der Försterei — das Uebrige wissen Sie."
„Nein! Ebensowenig wie Sie, Herr Baron, es wissen. Da Sie sich nicht scheuen, den Namen Ihrer Schwägerin in dieser Sache zu nennen, will auch ich alle bisher bewahrte Discretiou aufgeben und Ihnen rund heraus sagen: Ihr Sohn Karl war entschlossen nach Amerika zu fliehen, um der Verbindung, welche Sie planten, aus dem Wege zu gehen. Er kam zu mir, um mich um ein Anlagekapital für dortige Unternehmungen zu bitten —"
„Und das war der Grund Ihrer ungewöhnlichen Erregung," unterbrach der Richter, „dieser Erregung, die Sie selbst zugaben und die auch der Förster an Ihnen bemerkte?"
Horst schwieg. Er fühlte, daß seine Aussage