Frau Lva.
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seine Schuld oder Unschuld nachzuweisen," rief der Baron, „meine Sache aber ist es, dafür zu sorgen, daß wir so schnell als möglich Lorbeck verlassen. Morgen reisen wir."
„Ich werde nicht reisen," erklärte Frau Eva, „jetzt, nachdem Sie mir gesagt haben, daß mein Name in diese Sache verflochten ist, jetzt ist mein Platz hier, in der Nähe des unschuldig Angeklagten."
„Sie werden es mir gefälligst überlassen, zu bestimmen, wo Ihr Platz ist," brauste der Baron auf, den dieser unerwartete Widerstand völlig aus der Fassung gebracht hatte. „Glauben Sie, daß ich ein Schwächling bin wie mein Bruder es war, den Sie bis an seinen Tod beherrschten und dessen thörichtes Testament sie wahrscheinlich dictirten? Ich habe mich in all' dieser Zeit verwundert, daß Sie das alles fertig gebracht hatten — es scheint aber, daß ich Sie bisher nicht kannte, daß Sie erst heut Ihr wahres Gesicht heranskehren. Sie operiren klug, wie es scheint, aber Sie haben sich doch verrechnet. So schwer das Ereigniß auch ist, das mich betroffen hat, zum Schwächling hat es mich nicht gemacht und meinen Willen werde ich durchzusetzen wissen."
Mit weit geöffneten Angen hatte Frau Eva ihn angeblickt. Erschreckt — entsetzt. Aber nicht erschreckt, weil sie ihn fürchtete, sondern erschreckt von der Niedrigkeit seiner Auffassungen, erschreckt, weil sie fühlte, daß sie den Mann, in dem sie bisher den Bruder ihres Gatten geehrt hatte, von nun an verachten würde. Dieses Gefühl drückte sie nieder, gab ihr aber auch zugleich eine bisher von ihr selbst nicht geahnte Festigkeit und Empfindung eigner Kraft.
„Jedes weitere Wort zwischen uns wäre zn viel," sagte sie, „ich werde thun, was ich für Recht halte."
Sie wandte sich ab und verließ das Zimmer, in dem der Baron heftig ans- und abschritt.
Ihre Stiefmutter trat ihr entgegen.
„Ich weiß mir keinen Rath mit Irene, klagte sie, das Mädchen geberdet sich wie außer sich, alle meine theilnehmenden Worte weiset sie schroff zurück, ich weiß gar nicht mehr was ich sagen und denkelr soll."
„Irene?" — Gedankenschnell durchzuckte es Frau Eva. Wie, wenn sie Karl nahe gestanden hätte — wenn sie über seinen Tod etwas wüßte?
„Ich will zu ihr gehen," sagte sie, „bitte, laß uns allein, Mama."
Frau Eva war mit einem Schlage verändert, sie war entsetzt über Karl's plötzlichen Tod und Horst's Verhaftung, aber dieses Entsetzen gestaltete sich in ihr zu einer großen Begeisterung für eine plötzlich vor ihr stehende Lebensaufgabe um. Dahin war ihre apathische Ruhe, sie mußte handelnd ein
greisen in den Lauf der Dinge: sie mußte Horst retten. Das Andenken an den Todten wich zurück vor dem Gedanken an den' Lebenden. Sie trat in das Zimmer, in dem Irene saß. Es war dasselbe, in dem Karl sonst gewohnt hate. Irene hob den Kopf bei ihrem Eintrit und vergrub dann sofort wieder ihr Gesicht in den Händen.
Frau Eva trat an ihre Seite und legte ihre Hand auf den Scheitel der Weinenden.
„Irene," begann sie leise, „was hast Du?"
„O, laß mich, laß mich!"
„Irene, denke daran, daß Du mich lieb hattest, als Du noch ein Kind warst. Vergiß, daß wir uns fremd wurden in der späteren Zeit, habe Vertrauen zu Deiner Schwester!"
„Was willst denn Du von mir, Du, Du, die ihn heirathen wollte!"
„Das wollte ich nicht, Irene."
„Das wolltest Du nicht?"
„Nein — wenn ich ihn geliebt hätte, könnte ich dann jetzt so ruhig sein? Aber Du, Irene, Du hast ihn geliebt und deshalb komme ich jetzt zu Dir. Dir hat er nahe gestanden, nicht wahr, Du weißt mehr von ihm als wir alle, Du weißt auch oder ahnst doch vielleicht, wie das Furchtbare geschehen konnte?"
„So weißt Du es also," schluchzte Jreue, „o, ich bin eine Elende, ich bin schuld an seinem Tode!"
„Kind, was sprichst Du da, aber komm, erzähle mir Alles, erleichtere Dein schweres Herz, meine arme Schwester."
Sie zog Irene sanft an sich und diese schlang, einem plötzlichen Impulse folgend, beide Arme leidenschaftlich um sie.
„Ich habe ihn in den Tod getrieben," flüsterte sie, „denn er liebte mich und wollte mit mir nach Amerika fliehen, und ich hatte nicht den Muth nein zn sagen, so lange er vor mir stand, noch weniger aber wollte ich ihm über das Meer folgen; ich schrieb ihm daher, daß ich unter diesen Verhältnissen nicht die Seine werden könnte, ich legte den Brief in sein Zimmer — er hat ihn gesunden und hat sich den Tod gegeben. O, ich möchte am liebsten auch sterben! Ach Eva, ich bin zn unglücklich !"
„Kind, Kind," beschwichtigte Frau Eva, „wie ist es möglich, daß er sich den Tod gegeben hat, er war ja waffenlos."
„Vielleicht hatte er den Assessor um seine Büchse gebeten und dieser will es nun nicht sagen, vielleicht besaß er auch eine Waffe und man hat sie ihm weggenommen — ach, ich weiß ja nicht, wie es geschehen konnte, ich weiß nur, daß er todt ist, todt, durch meine Schuld."
„Das alles kann nicht sein, Irene, weißt Du