314
Moritz von Selchenbach.
Hang erst hier eingefallen und meine Erinnerung an den jungen Menschen im Jägerracke ist eine sa vage, daß ich nicht sagen könnte, er und der Hülssjäger seien ein und dieselbe Person gewesen. Der letztere hat außerdem sein Alibi nachgewiesen, er war zu Hause, während die That geschah und seine Büchse fand sich rein und anscheinend ungebraucht am Morgen vor. Auch beruht unser „Faden" auf bloßen Hypothesen und erweist sich als Hirngespinnst, wenn zwischen der Försterstochter und dem Hülssjäger kein Liebesverhältniß gespielt hat. Paul ist nicht da-, den man befragen könnte — aus meinebloßen Träume hin wird mau keinen Verdacht gegen den jungen Menschen hegen — auch möchte ich ihn, wenn er unschuldig ist, nicht in Ungelegenheiten bringen."
„Er ist aber nicht unschuldig, es ist unmöglich, daß er es ist und es wird nicht unmöglich sein, die Wahrheit herauszubringen. Ich will nach der Försterei, ich will dort Nachfragen — o, wenn ich nur nicht so weltfremd, so ungewandt im Verkehre mit Menschen wäre!"
„O Baronin,, als Sie eintraten, strömten, die Strahlen der Abendsonne mit Ihnen zugleich in meine düstere Zelle, das war ein gutes Omen!"
„Möchte es so sein! Jedenfalls wollen wir nicht den Muth verlieren. Es liegt jetzt alles daran, Beweise für Ihre Vermnthnng zu schaffen, nicht wahr?"
„Allerdings!"
„Nun sehe ich meine Aufgabe klar vor nur. Leben Sie wohl, mein Freund, ich höre schon die Schritte des Schließers draußen ans dem Gange. Und ich weiß ja nun auch, was ich wissen wollte!"
„Baronin, wenn ich Ihnen sagen könnte, wie glücklich es mich macht, sie so thatbereit zu sehen —"
„Still, still, von mir ist hier nicht die Rede."
Der Schließer unterbrach die Unterredung. Frau Eva folgte ihm. Draußen vor der Thür preßte sie die Hände auf ihr hvchklopsendes Herz.
„O, wenn ich ihm die volle Sonne und die Freiheit wiedergeben könnte!" seufzte sie. Sie eilte nach dem Gasthos zurück, wo Irene sie erwartete. Am liebsten wäre sie sofort nach der Försterei gefahren, um Erkundigungen über den Forstgehülsen einzuziehen. Eine Rastlosigkeit hatte sich ihrer bemächtigt — ihr war, als versäume sie in jeder müßigen Viertelstunde eine Gelegenheit, Horst zu helfen. Dennoch gab sie Irenen Recht, welche ihr vorstellte, daß ein nächtlicher Besuch in der Försterei nur Aufsehen erregen und schwerlich etwas nützen würde. Ungeduldig erwartete sie den nächsten Morgen. Sobald die Colonnaden mit ihren Läden geöffnet waren, begab sie sich dorthin und suchte die Blumenverküuferin auf. Das Mädchen kannte die neue Kundin nicht. Es sah sehr blaß
ans und hatte rothgeweinte Augen. Frau Eva bestellte einen Strauß weiße Rosen und sagte dann:
„Der Baron Paul Herfall hat mich an Sie empfohlen, er lobte Sie und Ihre Blumen sehr."
Eine seltsame Veränderung ging mit dem Mädchen vor. Ihr blasses Gesicht erglühte, ihre Augen bekamen Glanz und Leben.
„O, Sie kennen den Herrn Baron, gnädige ! Frau?"
„In, ich bin ans seiner Gegend, sogar verwandt mit ihm."
„Verwandt mit ihm! O, dann wissen die gnädige Frau gewiß seine Adresse, er reiste so plötzlich ab und ich habe noch eine kleine Rechnung —"
„Nun, die könnte ich ja für ihn bezahlen — ich sehe ihn, sobald ich znrückkehre."
„O, das eilt ja nicht — ich wollte nur für alle Fälle die Adresse wissen."
Das Mädchen schauerte zusammen, ihre Hände zitterteil sichtbar.
„Sie habeir Fieber," sagte Frau Eva, „Sie sollten den zugigen Platz hier anfgeben —"
„O ja, ich bin krank, aber das geht vorüber. Wenn ich mir eine Stelle wüßte, wo ich Unterkommen könnte, ich bliebe gewiß nicht hier. Wenn die gnädige Frau vielleicht hören, daß ein Hausmädchen gebraucht wird oder eine Schließerin, ich bin geschickt zu allerlei Arbeiten."
Andere Kunden unterbracheil das Gespräch. Frau Eva zog sich zurück. Das Gebahren des Mädchens hatte Frau Eva die Ueberzengnng gegeben, daß dasselbe mit Paul in nahen Beziehungen gestanden haben mußte. Es blieb nun noch zu erforscheil, welcher Art ihr Verhältniß zu dem Hükfs- jäger sei, um weitere Schlüsse daraus zieheil zu können.
Am Nachmittage fuhr Frau Eva, voll Irene begleitet, nach der Försterei, welche manchmal von Badegästen besucht wurde, sodaß ihr Erscheinen dort nichts Auffallendes hatte. Als nahe Verwandte Karl Hersalls erschien es auch natürlich, daß sie die Stelle sehen wollte, wo er zuletzt im Leben geweilt hatte. Sie bat den Förster, ihr den Schießplatz zu zeigeil und ihr die Vorgänge jenes Nachmittags zu erzählen.
Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen bei den Verdächtigungen Horst's, mit denen der Förster bei dieser Gelegenheit nicht zurückhielt und bei seiner ganzen gehässigeil Dnrstellnngsweise, aber sie beherrschte sich vollkommen und machte den Alten ganz redselig und zutraulich.
„Sehen Sie, gnädige Frau," sagte er, „ich rede gern so über dies und das mit meinen Gästen und bin gewöhnt, daß man nur liebenswürdig begegnet. Aber bei dem Herrn Assessor, da war keine Rede