Heft 
(1.1.2019) 07
Seite
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Moritz von Reichenbach.

Der Hülfsjäger hob den Kopf, ließ ihn aber sogleich wieder sinken. Dann ging er mit so schnellen Schritten voran, daß die beiden Frauen kaum zu folgen vermochten.

Am Eingänge des Bades holten sie ihn ein.

Ich wollte Ihnen noch etwas für die Mühe des Weges geben," sagte Frau Eva, ihm ein Geld­stück entgegenreichend, doch er streckte die Hand nicht danach aus, grüßte nur kurz und entfernte sich dann, mit eiligen Schritten um die nächste Ecke biegend.

X.

Frau Eva war sehr niedergeschlagen über den geringen Erfolg ihrer gestrigen Unternehmung, denn, wenn sie auch nun wußte, daß die Rede von einer Heirath zwischen der Försterstochter und dem Hülfs- jüger gewesen war, so schien dieser sich doch die mögliche Entfernung des Mädchens nicht sonderlich zu Herzen zu nehmen, trotzdem es sich um eine Uebersiedelung in Paul Hersall's Nähe handelte. Am frühen Morgen des nächsten Tages war Frau Eva schou in der Colonnade gewesen, hatte aber, da es Sonntag war, den Blumenladen geschlossen gefunden. Sie beschloß nun, an Paul zu schreiben, ihm den Stand der Dinge und ihre Vermuthnngen mitzutheilen und ihn zu bitten, nichts zu unter­lassen, was er etwa zur Klärung der Angelegenheit beitragen könne. Der Brief wurde ihr schwerer, als sie geglaubt hatte und gegen Mittag war sie immer noch nicht damit zu Stande gekommen. Irene hatte alle Mühe, die Mama Seiger zu ver­hindern, Eva zu stören. Die alte Dame hatte sich auf Wunsch ihrer Tochter ebenfalls entschlossen, in Lorbeck zu bleiben, wo sie keine Gelegenheit ver­fehlte, Fran Eva zu sagen: daß sie ihr mit Freu­den das Opfer brächte, an ihrer Seite zu bleiben, und allen sonstigen Bekannten zu versichern, daß sie mit schwerem Herzen wieder einmal den Schrullen ihrer Stieftochter nachgegeben hätte.

Endlich nahm Irene die unruhige Mama zu einem Spaziergange in den Park mit. Fran Eva überlas soeben den dritten Brief, nachdem sie die zwei vorhergehenden zerrissen hatte und fand auch an diesem allerlei ausznsetzen.

Da meldete ihre Kammerjungfer den alten Förster. Frau Eva ging ihm entgegen. Der alte Mann küßte weinend ihre Hand und bat sie, zu seiner Tochter zu kommen, die schwer krank bei ihm liege und ihr allerlei Wichtiges mittheilen wolle.

Es hat sich Furchtbares bei uns ereignet," sagte der Alte.Heut' in der ersten Frühe habe ich meine Tochter wie todt und in ihrem Blute schwimmend auf der Schwelle der Hausthür ge­sunden. Der Arzt giebt zwar Hoffnung, aber die

Rosel ist sehr schwach und verlangt immer nur nach Ihnen. Mein Hülfsjäger ist spurlos ver­schwunden weiß Gott, was zwischen den beiden vorgefallen ist."

Frau Eva bestellte sofort einen Wagen und eilte nach der Försterei. Sie fand das Mädchen bewußtlos, doch gab der anwesende Arzt Hoffnung auf ihre Herstellung, da die Wunde keine edleren Theile berührte und nur die Schwäche in Folge des Blutverlustes zu überwinden war.

Frau Eva kehrte in fieberhafter Erregung nach Lorbeck zurück. Glaubte sie doch die Katastrophe, von welcher das Mädchen betroffen worden war, mit heraufbeschworen zu haben und die Schuld des Hülfsjägers erschien ihr jetzt zweifellos. Sie schickte eine Diakonissin zur Pflege der Kranken hinaus, fügte dem Briefe an Paul ein Postscriptnm bei und machte sich eben fertig um nach der Stadt zu fahren, als ein Wagen vor dem Hause hielt.

Ein eiliger Tritt näherte sich Frau Eva's Thür.

Sie horcht auf. Man klopft.

Es wird der Doktor sein," denkt sie und ruft herein."

Die Thür fliegt ans und auf der Schwelle steht Horst von Hagen.

Mein Gott!" ruft Frau Eva und hält sich mit beiden Händen an dem Schreibtisch fest.

Jetzt steht er vor ihr, hält ihr die Hände ent­gegen und blickt sie mit glänzenden Augen an, mit Augen, die eigentlich jedes weitere Wort überflüssig machen würden, wenn Fran Eva darin lesen wollte. Aber wie soll sie in seinen Augen lesen, da sie noch gar nicht begreifen kann, daß er wirklich vor ihr steht. Er findet im ersten Augenblicke kein Wort. Erst als er ihre Hände in der seinen hält, sagt er:

Ich bin frei, der Schuldige hat sich heut ge­stellt."

Frei? Frei?"O, Gott sei Dank!"

Ja," ruft er,Gott und Ihnen! O Eva, wird mein ganzes Leben genügen um Ihnen zu dankeil?"

Mir? Ich habe ja nichts gethan, gar nichts!"

Sie sind erwacht, Dornröschen, erwacht in der Sorge um mich, und nun ich kann nicht anders, ich muß Sie in dieser ersten, glückseligen Freiheits­stunde auch gleich fragen: sind Sie nur erwacht für den unschuldig Leidenden, oder Eva, Dorn­röschen, ist nicht bloß Ihr Geist und Ihre That- kraft ist auch Ihr Herz erwacht? Daß das meine Ihnen gehört schon seit unserer ersten Be­gegnung im Walde, das wissen Sie, nicht wahr?"

Sie antwortet mit keinem Wort. Aber er er- erwartet auch keins; seine Arme umschlingen sie und er küßt die Antwort von ihren Lippen.

*