Heft 
(1.1.2019) 07
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Frau <Lva.

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In der Nacht hatte sich der Hülfsjäger Her­mann Kralle bei dem Amtsrichter melden lassen. Er hatte erklärt, daß er nicht weiter leben wolle mit einer Doppelschnld aus dem Gewissen. Er habe soeben seine Geliebte, die Tochter seines Försters, erstochen, weil sie zn ihrem Liebhaber nach Ungarn gehen wollte, und er habe auch damals den Baron Hersall, den er irrthümlicher Weise für seinen Nebenbuhler gehalten, erschossen. Der Jrrthum war um so leichter gewesen, als Paul damals in der Försterei erwartet wnrde. Der Hülfsjäger hatte inzwischen durch einen aus Lorbeck kommenden Holz- schläger erfahren, daß die Rosel eben für jenen Abend eilk zärtliches Rendez-Vous mit dem jungen Hersall verabredet hatte. Als er nun in die Försterei kam und hörte, der junge Hersall sei dort gewesen, sei aber wieder nach Lorbeck zurück- gekehrt, sah er darin eine Bestätigung des Rendez­vous und beschloß sofort dasselbe zn verhindern, den Baron zur Rückkehr nach der Försterei anfzn- fordern, oder ihn, wenn er sich weigerte, das Mädchen aufzugeben, nieder zu schießen. Er zog sich in seine Kammer zurück, schloß diese ab und sprang dann aus dem Fenster, das unmittelbar in den Wald führte. Qnerwaldein rannte er nnn bis zn dem Punkte, wo der Fahrweg nach Lor­beck einmündete und erreichte, wie er richtig be­rechnet hatte, diesen Weg vor dem Baron. Als dieser kam, war es schon schummerig im Walde. Der Gedanke, daß der leichtfertige Baron jetzt zn seiner Liebsten schleichen wollte, übermannte den jähzornigen Menschen und, ohne die beabsichtigte Frage an jenen zu stellen, von deren Wirkungs­losigkeit er ohnehin überzeugt war, schoß er den vermeintlichen Usurpator seiner Rechte nieder, da­rauf kehrte er in seine Kammer zurück, putzte sein Gewehr und wartete die kommenden Dinge ab. Er kannte die Brüder Hersall nur vom Sehen, ihre Aehnlichkeit war groß, und da in der Försterei immer nur von Paul die Rede gewesen war, kam ihm der Gedanke, daß er den älteren Bruder vor sich haben könnte, gar nicht. Paul war dann ab­gereist, ohne Rosel wiederznsehen und der Hülfs­jäger, dem sein Jrrthum später klar geworden war, hatte geglaubt, mit seinen Gewissensbissen fertig werden und die Rosel nun ungehindert heirathen zu können. Da hatte er erfahren, daß diese Paul folgen wollte. Er hatte sie darüber zur Rede ge­stellt, es war zum Streite zwischen ihnen gekom­men, und als die Rosel die Vermnthung ausge­sprochen hatte, daß er Wohl der Mörder Karl Herfa ll's sei und die Versicherung daran knüpfte, daß sie niemals die Seine werden, sondern ganz bestimmt nach Ungarn gehen würde, da hatte er sie niedergestochen. Als er sie dann leblos und

blutüberströmt vor sich liegen sah, hatte er sich ver­zweifelnd selbst dem Gerichte ausgeliefert.

Als Frau Eva aus dem Glücksrausch, in den sie Horst's Rückkehr versetzt hatte, erwachte, galt ihr erster Gedanke der verwundeten Försterstochter.

Alles was zur Rettung des Mädchens ge­schehen kann, soll geschehen," sagte Eva,ich werde jedenfalls hier bleiben, bis eine Entscheidung in dieser Beziehung eingetreten ist und ihre Pflege persönlich leiten."

Dann wird sie sicher gesund," meinte Horst zuversichtlich. Dann sah er Frau Eva fragend an.

Und nachher?"

Nachher werde ich nicht wieder einschlafen," gab sie mit einem leisen Lächeln zurück.Ich glaube wirklich, daß es gar nicht so schwer sein wird, einen Ausweg ans all den Hindernissen meiner Freiheit, die mir so unüberwindlich schienen, zn fin­den. Ich habe viel, sehr viel gelernt in dieser letzteil Zeit."

Er küßte ihre Hand.

Nein, Dornröschen. Neues gelernt hast Du nicht. Du hast nur Dich selbst wiedergefunden!"

Epilog:

Auf den ungarischen Gütern hallst der alte Baron Hersall mit seinem Sohne Paul, der ein ernsthafter junger Mann geworden sein soll, lind mit größter Gewissenhaftigkeit dafür sorgt, daß die Dotationen, mit denen die frühere Besitzerin das hübsche, voll großem Garten umgebene Wittwenhaus allsgestattet hat, pünktlich all die damalige Insassin desselben, die alte Frau von Seiger, verabfolgt wer­den. Die hübsche Irene ist mit dem Rittmeister in der nächsten Garnison verlobt, näht fleißig all ihrer Ausstattung und schwärmt voll ihrer Stief­schwester. Diese lebt mit ihrem zweiten Gatten, dem Assessor Horst voll Hagen in einer entzückenden Villa am Rhein, und die Försterstochter Rosel ver­sieht bei ihr den Posten einer Beschließerin. In Frau Eva's letztem Briese an ihre Stiefschwester steht die Stelle:

Zu Deiner Hochzeit komme ich ganz gewiß lllld, liebes Herz, das beste, was ich Dir wünschen kann, ist: werde ebenso glücklich, als ich es bin. Wenn ich jetzt au die Vergangenheit denke, erscheint sie mir wie ein dunkler Traum. Und wie hell lllld klar ist Alles geworden, seit die Sonne der Liebe über meinem Leben ansgegangen ist. Wie schnell sind vor ihrem Lichte die Schatten gewichen! Horst hat mich einmal Dornröschen genannt. Ach, jedes Frauenherz gleicht dein schlafenden Dornrös­chen und erst die rechte, echte Liebe küßt es wach. Nicht wahr, kleine Schwester?"