Wurzelfüßchen.
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„Nein," rief sie und riß entschlossen eine ihrer Wurzeln aus dem Waldboden — es schmerzte sie, aber sie achtete dessen nicht — „nein, ich komme mit Dir, ich werde Alles ertragen."
Und er herzte und küßte sie und die Blume war glücklich.
Als die anderen Pflanzen des Waldes sahen, wie sie die Wurzeln emporhob und mit ihm davonzog, blickten einige sie verwundert, andere höhnisch an.
„Warum setzt er sie nicht in Erde? Sie wird sterben, unsereins ist so ein Nomadenleben nicht gewöhnt," sagten die Einen.
„Er wird sie wegwerfen, wenn sie welk geworden und er ihrer satt ist," sagten die Andern.
Die Blume aber war glücklich: Es war Nacht. Myriaden von Sternen funkelten am Himmel, erquickende Kühle umfing sie und ihr Freund hielt den Arm um sie geschlungen und stützte ihre Zweige. So schritten sie nebeneinander auf der Landstraße hin. Doch die Waldblume achtete nicht ans die Welt, nach der sie sich früher so gesehnt; sie sah nur den Einen, um den sie ihre Heimathserde verlassen und wenn seine Hand liebkosend ihre Blätter berührte, dufteten diese berauschender als je. Und der Jüngling meinte, es sei lautere Poesie so zu wandern und er sagte ihr, daß er ihr ewig dankbar sein werde und daß es ihm wäre, als ob ihm Flügel wüchsen.
„Werden mir bald Füße wachsen?" fragte sie schüchtern.
„Morgen früh wirst Du die reizendsten kleinen Füßchen von der Welt haben," jauchzte er.
Die Morgendämmerung brach herein. Ein fahler Schein zeigte sich im Osten, bald lanchte der Sonnenball glühend empor. Er stieg höher und höher, erst leise wärmend, dann brennend, versengend. Die Landstraße war staubig und der Weg weit. Die Wurzeln der Blume wurden wund, aber Füße sproßten nicht aus den Wunden. Ihre Blätter
welkten unter den Sonnenstrahlen, ihre Blüthen hingen schlaff herab.
„Du verlierst schon den Muth," zürnte der Jüngling, „Du liebst mich nicht genug, sonst würdest Du nicht welken."
Und die Blume sagte ihm nicht, wie sehr sie litt.
Endlich klagte sie: „Einen Tropfen Wasser nur, ich verschmachte."
„Am Abend, am Ziele werde ich Dir Wasser geben. Beherrsche Dich jetzt, halte uns nicht auf."
Sie schleppte sich neben ihm hin, doch sie duftete nicht mehr. Auch wenn seine Hand sie schmeichelnd berührte, that sie es nicht. Ihr fehlte die Erde, aus der sie ihre Kraft gesogen.
Und wie er das bemerkte, eilte er fort, ihr Wasser zu holen. Er fand keines in der sandigen Ebene. Als er zurückkam, erschrak er, so sterbensmatt war sie.
„Ich will Dich mit meinem Blute nähren," rief er leidenschaftlich, „bleib am Leben, bleibe bei mir. Ich will Dich in einen kleinen Garten Pflanzen, die Poesie wird auch dort eine Stätte finden, ich will nicht mehr wandern. In schöner kühler Erde werde ich Dich bergen, nicht haltlos sollen Deine Wurzeln straucheln, sie sollen festen Boden finden; Thau und Regen werden Deine Blätter erquicken und Deine Blüthen wachküssen. Bleibe bei mir, lebe für mich, wie ich für Dich leben will."
Dabei riß er einen Dorn von den staubigen Hecken des Weges, ritzte damit seine Haut und ließ sein Blut statt des Wassers, welches er vergebens gesucht, auf die Blume tropfen.
Sie lächelte glückselig. Purpurn standen die Blutsthränen auf ihren weißen Blüthen und grünen Blättern, doch ihren Wurzeln gaben sie keine Nahrung.
Als die Sterne wieder schienen, trug der Jüngling die todte Blume in seinem Arm. Es waren ihr keine Füße statt der Wurzeln gewachsen.