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A. v. lvinterfeld.
Talent zum Schauspieler zu haben schien, that, als wenn ihm plötzlich die Entdeckung eines entsetzlichen Jrrthums durch die Seele führe; aus seinem blassen Gesicht lagerte sich der Ausdruck jähen Schreckens, und die dicken Fäuste ballten sich unwillkürlich zum stillen Gebet.
„Vergeben Sie mir, Herr Lieutenant," bat er mit zitternder Stimme . . . thun Sie mir nichts, guter Herr Lieutenant; ich habe in der Zerstreuung ganz vergessen, Wasser in den Grog zu gießen."
Padderow blickte den Uebelthäter noch eine Weile düster an; dann entließ er ihn mit einer Handbewegung.
„Geh, Elender!" sagte er . . . „hebe Dich weg, damit ich nicht noch ein Verbrechen an Dir begehe!"
Dann versank er in unheimliches Schweigen, aus dem er nach geraumer Zeit von Schirrmeister geweckt ward.
„Ihr werdet doch aber den Grog austrinken?" fragte er mit bescheidenem Ton . . . „oder soll ich Euch die Hälfte Wasser zngießen, wenn er Euch zu stark ist?"
Der dicke Reiter überlegte sich's. Nach dem ersten Schluck war es ihm zwar vorgekommen, als wenn er sich die Eingeweide verbrannt; jetzt hatte es aber schon wieder etwas nachgelassen. Und dann ... vor dem Gedanken, daß ihm irgend etwas zu stark sein könnte, empörte sich seine re- nommistische Natur ... das konnte sich hernm- sprechen und sein glänzendes Renommee vernichten . . . zögernd griff er wieder zum Glase und zögernd nahm er den zweiten Schluck . . . Die Wirkung kam ihm schon geringer vor . . . noch schwächer ward der Eindruck beim vierten und fünften; das ist die Macht der Gewohnheit nach beiden Seiten hin . . . sie schärst den Geschmack für das Alltägliche und schwächt ihn ab dem Ungeheuerlichen gegenüber.
Von jetzt ab wurde Padderow schweigsam; aber Schirrmeister amüsirte sich dennoch über ihn, wie der Kops immer mehr anschwoll und röther ward, die Augen kleiner und die Unterlippe wulstiger und träger. Der ganze Mensch schien angeschwvllen, wie ein Egel, der sich nach und nach voll Blut saugt. Zuletzt bekam das Gesicht etwas Stumpfes und der Kopf fiel vorne über, entweder mit der Nase auf den Säbelknopf, oder die Cigarre ward mit dem falschen Ende in den Mund gesteckt, was auch keine angenehme Empfindung ist.
Um das Feuer herum ward es still; aber vom rechten Flügel her klang es wie ein Leben im Traum . . . plötzliche Heiterkeit blühte auf und erlosch mit derselben Geschwindigkeit . . . hier klang ein toller Chor, von dort stahl sich ein sanftes Lied durch's Lager hin, wie stilles Sehnen; dann kam es mit Gelächter näher heran, der grotesk
costumirte Führer mit dem strohumwickelten Bären, den er an der Leine hatte und tanzen ließ . . . hinterher noch ähnliches Gethier, auf allen Vieren gehend, und ein lärmender Haufen lustiger Kameraden, die ihre Witze dazu machten und sich krank lachen wollten über die täppischen Bewegungen der nachgeahmten Bestien und das tiefe Gebrumme der Bären, mit dem er seine Umgebung graulich machen wollte.
Grade als der kleine Trupp seine Vorstellung begonnen hatte, als die Querpfeife gellte und die Trommel klang, erhob sich von links her ein anderes Leben, man möchte sagen, ein negatives . . . ein anspruchsloses, das aber just durch seine Seltsamkeit stärker wirkte, als der ohrenzerreißende Lärm am Bivouacsfeuer.
Erst klang es, als wenn ein Flüstern durch die Gasse entlang lief, kurz abgerissene Worte, die man nicht verstand, die aber langsam an Deutlichkeit zunahmen . . . dazwischen das gedämpfte Krücken zertretenen Reisigs und das fast verhaltene Schnaufen eines Pferdes, oder deren zwei. Es war beinahe feierlich, ohne daß man sich sagen konnte, weshalb; die Querpfeife blies unwillkürlich etwas weniger schrill; die Trommel polterte nicht so burlesk den Takt dazu ... da war es, als wenn es sich nahte von links ... die Augen blickten unwillkürlich auf, und eine Stimme hörte man leise sprechen: „Der Kaiser!" . . .
Alles sprang empor, als wenn ihnen der Blitz in die Glieder gefahren, sogar Padderow richtete sich schwerfällig auf und faßte nach Schirrmeister, um sich an dem zu halten, die Flöte brach plötzlich mitten in der Melodie ab, der Trommelstock tappste noch ein paar ungeschickte Schläge hinterher; die Bären stellten sich grade, just als wenn es Menschen gewesen wären; die Officiere griffen an den Mützenschirm und der Mund öffnete sich zum Hur- rahrns. Aber der Kaiser, vom flackernden Feuerschein umflossen, vom leuchtenden Nebel ummalt, nickte freundlich zum Gegengruß, und winkte, daß sie sich nicht stören lassen sollten . . . dann ritt er weiter, vom stillen Adjutanten gefolgt, als wenn es nur ein verschwimmend Traumbild gewesen.
Und die Flöte begann wieder ihr impertinentes Lied; die Trommel kloterte den rauhen Takt dazu; der Bär hob schwerfällig das rechte Bein zum Tanz; die Peitsche knallte; die Offiziere setzten sich, und der dicke Padderow fiel der Länge nach in den Schmutz, daß es einen ordentlichen Klatsch gab.
„Oh! . . . entschuldigt!" sagte Schirrmeister, an dem er seinen Stützpunkt verloren; dann half er ihm aber zärtlich auf und setzte ihn wieder auf seinen alten Platz.
So still und ohne prunkenden Lärm ritt der Kaiser durch das große Bivouac; er wollte seine