Heft 
(1.1.2019) 07
Seite
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MM

Leopold v. Ranke ch.Ein Stern ist gefallen und eine Krone ist vorn Haupte eines Königs gesunken." Diese Worte, mit denen Boerne einst seine Gedächtnißrede auf Jean Paul einleitete, kamen uns auf die Lippen, als wir die erwartete und doch so schmerzlich empfundene Nachricht vom Tode des Altmeisters unserer Geschichts­schreibung, vom Tode Leopold v. Ranke's erhielten.

Am Sonntag, den 23. Mai, Abends lOftz Uhr, ist der fast 91jährige Greis sanft entschlafen, nachdem der der Auslösung voraufgehende Todeskampf allerdings ein lan­ger und harter gewesen, doch aber wohl ein solcher, daß die umstehenden Angehörigen und Freunde mehr dabei ge­litten haben, als der Sterbende selbst.

An diesem Sarge trauert nicht nur die zurückge­bliebene Familie, nicht nur die Nation, die den Gestor­benen zu ihren edelsten und bester! Söhnen seit lange zu zählen berechtigt und gewillt war: an diesem Sarge ver­hüllt der Genius der Menschheit trauernd sein Haupt. Das ist keine Phrase, wie sie die Franzosen bei Gelegen­heit des Todes von Victor Hugo so verschwenderisch an­gewendet haben, das ist pure Wahrheit und ein Blick in die Zeitungen aller Herren Länder und aller Richtungen liefert davon zur Ehre der Menschheit sei es gesagt den Beweis. Aller politischer und nationaler Hader schwieg für einen Augenblick und die blitzenden Schwerter der Geistesstreiter in allen Ländern senkten sich salutirend vor diesem Tvdten, als die Kunde vom Hingange des illustrer! Geschichtsschreibers in die Welt hinausging. Selbst in Frankreich und Paris hat kein Mißton wir wollen das besonders betonen die feierliche Einstimmigkeit dieser Huldigung beeinträchtigt. Von den übrigen Nationen aber wußte fast jede eine Seite seines Schaffens als ihr selbst und ihrer Speeial-Geschichte geweiht zu rühmen und dank­bar anzuerkennen, so die Engländer seineEnglische Ge­schichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert", wie die südeurvpäischen Völker sein großes und glänzendes Werk: Fürsten und Völker in Südeuropa im 16. und 17. Jahr­hundert"; so die Serben, derenRevolution" er so meister­haft erzählt hat, wie seine zahlreichen Schüler, Freunde und Bewunderer in Oesterreich, an das ihn besonders rege Bande der Sympathie und Freundschaft knüpften.

Diese Universalität der gewaltigen, 60 Jahre umfassen­den Thätigkeit des großen Gelehrten ist vielleicht das am meisten Äwunenswerthe an diesem in jeder Beziehung außergewöhnlichen Menschenleben. Sie ist aber zugleich ein glänzendes Zeugniß dafür, daß die deutsche Wissenschaft ihre universale Aufgabe weder vergessen noch aufgegeben hat. Je mehr die politischen Interessen der Nationen aus­einandergehen, je schroffer die Gegensätze im socialen Le­ben werden: desto mehr ist es Aufgabe der Wissenschaft, die »Universitas« der geistigen und verbindenden Güter hochzuhalten, und wir sind stolz genug, der deutschen Wissen­schaft und den deutschen Gelehrten nach dieser Richtung

Amöscha«.

hin die Führerrolle zuzuschreiben. Leopold von Ranke hatte sie und bewahrte sie, soweit es die Historie anbelangt, jetzt freilich ist die Krone vom Haupte des Königs ge­fallen wer von den Nachfolgern hebt sie auf und ist würdig, sie zu tragen?

Äber die universale Richtung Ranke's beeinträchtigte durchaus nicht den echt deutschen und nationalen Kern seines Wesens, wie seines Wissens. Fünfzig Bände stehen als die Summe seiner hinterlassenen Schriften, als das Ergebniß einer sechzigjährigen, rastlosen, bis in die letzten Lebenstage fortgesetzten Thätigkeit und einer riesigen Schaffenskraft und als das glänzendste Denkmal, das dein Manne gesetzt werden kann von der dankbaren Nation. Die meisten dieser fünfzig Bände behandeln anßerdeutsche Geschichtsepochen und Verhältnisse, aber jeder ist durch und durch deutsch und eine Bereicherung unserer nationalen Literatur. Schon durch die Schönheit der Sprache, durch die wunderbar feine Durcharbeitung des Styls ge­hört Ranke unter die Classiker unserer Nation. Er hat diesen Ruhm nicht so nebenher errungen und diesen Lor­beer nicht so im Vorbeigehen gepflückt, sondern derselbe ist ihm als Preis unablässigen Arbeitend und Feilens, nament­lich an der ersten Hälfte seiner Werke geworden. Und deutsch ist ferner an Ranke neben der Sprache das tiefe Verständniß für das Empfinden, wie die Regungen der Volksseele zu allen Zeiten und in allen Ländern. Wir wissen wohl, daß gerade das ihm von wissenschaftlichen Gegnern, wie Mommsen, Treitschke u. A., abgesprochen wird, aber es sei uns gestattet, zu betonen, daß für uns in Ranke'sDeutscher Geschichte im Zeitalter der Refor­mation" der Odem des lebendigen Vvlksgeistes so warm, wie nur in irgend einem Werke seiner Gegner weht. Man hat Ranke in dieser Beziehung zu Schlosser in Gegensatz bringen wollen das ist kein Gegensatz, das ist eine Er­gänzung und gewiß kann man das Wort Goethe's über seine und seines Freundes Schiller Werthschätzung, daß die Deutschen sich freuen sollten, zwei solche Männer ge­habt zu haben, mit Recht auch auf Schlosser und Ranke anwenden.

Solon's uraltes Wort:Niemand ist vor seinem Tode glücklich zu Preisen" hat wohl Recht, aber gerade auf ihm fußend, Preisen wir heute, wo sich der Hügel über die sterblichen Theile Leopold von Ranke's kaum geschlossen hat, diesen Sterblichen glücklich. Welch' ein harmonisches Leben! Welch' äußere Ehren, welch' inneres Glück! Wie weit aber die Grenzen des sonst dem Menschen gesteckten Zieles verlängert und doch fast bis zum letzten Athem- hauche schafsenskräftig und schaffensfreudig! Und nun, wo es für hier abgeschlossen ist, welche Liebe und Dankbarkeit, welche trauernde Wehmuth zittert durch die Herzen der gesammten gebildeten Menschheit und eint sich in dem Ab­schiedsgruße:

Schlafe in Frieden! ll. 8t.