Heft 
(1.1.2019) 07
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Allgemeine Rundschau.

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Die Rachel im Hauskleid.Diese Rachel ist doch eine ganz außergewöhnliche Erscheinung! Sie begnügt sich nicht, die erste Tragödie der Welt zu sein, sie schreibt auch wie Madame de Sevignö!" Dergleichen Ausrufe der Be­wunderung hätte man oftmals bei Verehrern und Vereh­rerinnen der Rachel hören können, die von der berühmten Künstlerin durch Briefe beglückt worden waren. Und da erscheint nun, bald dreißig Jahre nach ihrem Tode, ein Buch, das bezüglich derherrlichen" Briese eine merkwür­dige Enthüllung bringt. Wir meinen die ebenso reichhal­tige wie interessante Handschristensammlung Adolphe Cra- mieux', die jüngst durch den Druck veröffentlicht worden ist. Diese »^nto^rnx>1i68» enthalten auch viele Briefe der Rachel, doch ohne jede Correctur oder, um ein nahe liegen­des Bild zu gebrauchen, ohne jede Schminke.

Schon die wunderliche, d. h. sehr fehlerhafte Orthographie und der höchst saloppe Stil, welche diese Briefe zei­gen, müssten über die Autorschaft von durch­aus tadellosen Episteln der Rachel starke Zwei­fel erregen; aber diese Zweifel werden dadurch zur Gewißheit, daß sich unter den Autographen auch Briefe finden, worin die Schauspielerin ihren Freund und Gönner Crs- mieux ausdrücklich bittet, ihr die Antworten auf erhaltene Zuschrif­ten zu verfassen. In der That, der berühmte Advokat und glän­zende Stilist Crcnnieux, der sich seiner Glaubensgenvssin schon in einer Zeit angenommen hatte, da sie noch ganz unbekannt war, leistete ihr bereitwilligst die Dienste eines Secretärs; er verfasste jahre­lang alle Briefe, welche die Rachel abzusenden hatte, denn sie war nicht blos von Haus aus unge­bildet, sie besaß auch nicht den nöthigen Ernst, um etwas Ordent­liches zu lernen; nur durch ihr ungewöhnliches Talent für die Bühne ward sie zu der gefeierten Tragödin. Als solche liebte sie auch besonders ihren Nebenbuhle­rinnen gegenüber mit den schönen Briefen aus Crsmieux' Feder zu prunken. So schrieb sie einmal an diesen:Fräulein Dejazet schickt mir soeben einen charmanten Brief, den ich Ihnen sende. Eine Antwort, ich bitte, aber sehr liebenswürdig, denn ich lehne ihre Einladung ab; sagen Sie ihr, daß ich darüber verzweifelt bin und nichts verloren ist; vielleicht ein anderes Mal. Aber einen Brief, wie es wenige giebt, denn sie wird ihn allen Kameradinnen zeigen!"

Was den Charakter der Rachel anbetri'fft, so hat man sie ebenso übertrieben getadelt wie übertrieben gelobt. Im Anfänge ihrer Laufbahn sah man nur Tugenden in ihr, nur ein Herz, das sich von allen bösen Gedanken und son­stigen Leidenschaften jungfräulich rein halte, nur eine Künstlerin, welche die Gluth der Liebe trefflich darstelle, aber sie nicht selbst empfinde. Später malte man ihre Schwächen ins Dunkle und beschuldigte sie schonungslos unverzeihlicher Sittenlosigkeit. Letzteres wurde auch der Grund, aus welchem Cramieux den Verkehr mit ihr so

Das Geschenk des Kaisers an Papst Leo XIII

plötzlich abbrach, da er eine Heranwachsende Tochter hatte. Seine Gattin machte zwar noch den Versuch, den verlorenen Schützling zur Umkehr zu bewegen. Sie richtete brieflich liebreiche Ermahnungen und kluge Nathschläge. Ein Be­scheid darauf blieb aber aus, und als schließlich beide Crsmieux zur Rachel sandten, um eine Antwort sich noch besonders auszubitten, ließ die Rachel durch ihr Kammer­mädchen sagen, es käme keine Antwort. Diese rohe Zurück­weisung, zugleich ein Zeichen großer Undankbarkeit, schloß das Buch der Freundschaft ab.

Zu denjenigen, welche durch einen langjährigen ver­traulichen Umgang mit der Künstlerin Gelegenheit hatten, sie genau kennen zu lernen, gehörte auch der bekannte vr. Veron. In der von ihm im 5. Kapitel des vierten

Bandes seiner Denk­würdigkeiten entworfe­nen Charakterschilde­rung der Rachel sagt er unter Anderem: Man hat die Rachel oft der Habsucht ange­klagt. Bei ihr wechselt ein Uebermaß von Ver­schwendung und ein Uebermaß von klein­licher Berechnung und Sparsamkeit. Biswei­len will sie Alles ge­ben, was sie besitzt, und schleppt unerwartete Geschenke herbei, aber dann kann sie schon wenige Tage später in Versuchung kommen, weit mehr wieder zu nehmen, als sie gegeben hat. Alle Contraste zeigt diese bewegliche und wunderliche Natur: verschwenderische Wohl- thätigkeit und Geschäftssinn, die Hingebung eines Engels und die Bosheit eines Teufels; es ist eine fiebernde Natur, welche Alles er­schöpfen, Alles aufbrauchen will, welche weder Runzeln, noch Un­glück für möglich hält, diese ewi­gen und unversöhnlichen Feinde der Schönheit, des Genies und des Reichthums."

Dies vorausgeschickt, möge hier eine kleine Geschichte mitge- theilt werden, die am besten zeigt, welch feine Mittel die Rachel zu ersinnen wußte, um die großmü- thigen Instinkte ihrer Verehrer zu reizen, sobald sich diese öko­nomischer zeigten, als es mit der Heftigkeit ihrer Leiden­schaft vereinbar schien.

Bei ihrer alten Freundin, Madame S., hatte die Rachel eines Tages eine zerbrochene Guitarre bemerkt, ganz schwarz vor Schmutz und Alter.Was thun Sie mit dem Ding, meine Liebe?" fragte sie;wollen Sie mists schen­ken?"Herzlich gern. Sie befreien mich von einem un­nützen Möbel," erwiderte Madame S. und sofort erhielt die Kammerfrau den Befehl, die alte Guitarre nach der Wohnung der Künstlerin zu tragen. Drei Tage darauf besucht Graf Walewsky die Rachel und bemerkt das alte Instrument, das in einer seidenen Umhüllung über dem Kamine hängt.Was soll denn hier dieser alte Klimperkasten?" fragt der Graf verwundert und kneift dabei sein Lorgnon ins Auge. Die Rachel entgegnet, in­dem sie eine sentimentale Haltung annimmt, mit salbungs­vollem Tone:Das ist die Guitarre, mit der ich einst als