Allgemeine Rundschau.
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Die Rachel im Hauskleid. „Diese Rachel ist doch eine ganz außergewöhnliche Erscheinung! Sie begnügt sich nicht, die erste Tragödie der Welt zu sein, sie schreibt auch wie Madame de Sevignö!" Dergleichen Ausrufe der Bewunderung hätte man oftmals bei Verehrern und Verehrerinnen der Rachel hören können, die von der berühmten Künstlerin durch Briefe beglückt worden waren. Und da erscheint nun, bald dreißig Jahre nach ihrem Tode, ein Buch, das bezüglich der „herrlichen" Briese eine merkwürdige Enthüllung bringt. Wir meinen die ebenso reichhaltige wie interessante Handschristensammlung Adolphe Cra- mieux', die jüngst durch den Druck veröffentlicht worden ist. Diese »^nto^rnx>1i68» enthalten auch viele Briefe der Rachel, doch ohne jede Correctur oder, um ein nahe liegendes Bild zu gebrauchen, ohne jede Schminke.
Schon die wunderliche, d. h. sehr fehlerhafte Orthographie und der höchst saloppe Stil, welche diese Briefe zeigen, müssten über die Autorschaft von durchaus tadellosen Episteln der Rachel starke Zweifel erregen; aber diese Zweifel werden dadurch zur Gewißheit, daß sich unter den Autographen auch Briefe finden, worin die Schauspielerin ihren Freund und Gönner Crs- mieux ausdrücklich bittet, ihr die Antworten auf erhaltene Zuschriften zu verfassen. In der That, der berühmte Advokat und glänzende Stilist Crcnnieux, der sich seiner Glaubensgenvssin schon in einer Zeit angenommen hatte, da sie noch ganz unbekannt war, leistete ihr bereitwilligst die Dienste eines Secretärs; er verfasste jahrelang alle Briefe, welche die Rachel abzusenden hatte, denn sie war nicht blos von Haus aus ungebildet, sie besaß auch nicht den nöthigen Ernst, um etwas Ordentliches zu lernen; nur durch ihr ungewöhnliches Talent für die Bühne ward sie zu der gefeierten Tragödin. Als solche liebte sie auch besonders ihren Nebenbuhlerinnen gegenüber mit den schönen Briefen aus Crsmieux' Feder zu prunken. So schrieb sie einmal an diesen: „Fräulein Dejazet schickt mir soeben einen charmanten Brief, den ich Ihnen sende. Eine Antwort, ich bitte, aber sehr liebenswürdig, denn ich lehne ihre Einladung ab; sagen Sie ihr, daß ich darüber verzweifelt bin und nichts verloren ist; vielleicht ein anderes Mal. Aber einen Brief, wie es wenige giebt, denn sie wird ihn allen Kameradinnen zeigen!"
Was den Charakter der Rachel anbetri'fft, so hat man sie ebenso übertrieben getadelt wie übertrieben gelobt. Im Anfänge ihrer Laufbahn sah man nur Tugenden in ihr, nur ein Herz, das sich von allen bösen Gedanken und sonstigen Leidenschaften jungfräulich rein halte, nur eine Künstlerin, welche die Gluth der Liebe trefflich darstelle, aber sie nicht selbst empfinde. Später malte man ihre Schwächen ins Dunkle und beschuldigte sie schonungslos unverzeihlicher Sittenlosigkeit. Letzteres wurde auch der Grund, aus welchem Cramieux den Verkehr mit ihr so
Das Geschenk des Kaisers an Papst Leo XIII
plötzlich abbrach, da er eine Heranwachsende Tochter hatte. Seine Gattin machte zwar noch den Versuch, den verlorenen Schützling zur Umkehr zu bewegen. Sie richtete brieflich liebreiche Ermahnungen und kluge Nathschläge. Ein Bescheid darauf blieb aber aus, und als schließlich beide Crsmieux zur Rachel sandten, um eine Antwort sich noch besonders auszubitten, ließ die Rachel durch ihr Kammermädchen sagen, es käme keine Antwort. Diese rohe Zurückweisung, zugleich ein Zeichen großer Undankbarkeit, schloß das Buch der Freundschaft ab.
Zu denjenigen, welche durch einen langjährigen vertraulichen Umgang mit der Künstlerin Gelegenheit hatten, sie genau kennen zu lernen, gehörte auch der bekannte vr. Veron. In der von ihm im 5. Kapitel des vierten
Bandes seiner Denkwürdigkeiten entworfenen Charakterschilderung der Rachel sagt er unter Anderem: „Man hat die Rachel oft der Habsucht angeklagt. Bei ihr wechselt ein Uebermaß von Verschwendung und ein Uebermaß von kleinlicher Berechnung und Sparsamkeit. Bisweilen will sie Alles geben, was sie besitzt, und schleppt unerwartete Geschenke herbei, aber dann kann sie schon wenige Tage später in Versuchung kommen, weit mehr wieder zu nehmen, als sie gegeben hat. Alle Contraste zeigt diese bewegliche und wunderliche Natur: verschwenderische Wohl- thätigkeit und Geschäftssinn, die Hingebung eines Engels und die Bosheit eines Teufels; es ist eine fiebernde Natur, welche Alles erschöpfen, Alles aufbrauchen will, welche weder Runzeln, noch Unglück für möglich hält, diese ewigen und unversöhnlichen Feinde der Schönheit, des Genies und des Reichthums."
Dies vorausgeschickt, möge hier eine kleine Geschichte mitge- theilt werden, die am besten zeigt, welch feine Mittel die Rachel zu ersinnen wußte, um die großmü- thigen Instinkte ihrer Verehrer zu reizen, sobald sich diese ökonomischer zeigten, als es mit der Heftigkeit ihrer Leidenschaft vereinbar schien.
Bei ihrer alten Freundin, Madame S., hatte die Rachel eines Tages eine zerbrochene Guitarre bemerkt, ganz schwarz vor Schmutz und Alter. „Was thun Sie mit dem Ding, meine Liebe?" fragte sie; „wollen Sie mists schenken?" „Herzlich gern. Sie befreien mich von einem unnützen Möbel," erwiderte Madame S. und sofort erhielt die Kammerfrau den Befehl, die alte Guitarre nach der Wohnung der Künstlerin zu tragen. Drei Tage darauf besucht Graf Walewsky die Rachel und bemerkt das alte Instrument, das in einer seidenen Umhüllung über dem Kamine hängt. „Was soll denn hier dieser alte Klimperkasten?" fragt der Graf verwundert und kneift dabei sein Lorgnon ins Auge. Die Rachel entgegnet, indem sie eine sentimentale Haltung annimmt, mit salbungsvollem Tone: „Das ist die Guitarre, mit der ich einst als