Allgemeine Rundschau.
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Mein Lieb wiederumb zu geniesten;
Nun lässt sie mich's — ja hinter sich Ganz höflich jetzund geniesten.
Es ist halt, wenn ich's sagen soll,
Bey euch, ihr schönen Jungfrauen,
Viel Gschrey und wunder wenig Woll':
Sanct Velten soll euch trauen!
Wer euren glatter: Worten traut,
Der macht' sein' Müh' wol sparen,
Er säet im Wind, in's Meer auch baut,
Wie ich es ivohl erfahren.
* Wenn man heute von „Frohnen" und „Frohndienst" sprechen, hört, glaubt man sich in die Tage des Mittelalters zurückversetzen zu müssen und vergißt, daß noch in unserem Jahrhundert, ja selbst noch nach den glorreichen Befreiungskriegen furchtbare Frohnlasten auf dem deutschen Volke lasteten. So erzählt Pfister in seiner Geschichte der württembergischen Verfassung, daß allein im Oberamt Heidenheim noch im Jahr 1814 die Jagdfrohnen 20,000 Gulden betraget: hätten und 5293 Morgen bestreuten Ackers wegen Wildschaden unbebaut liegen geblieben seien, ja daß noch im März 1815 von einem Oberamte zu einer Jagd 21,584 Mann und 3237 Pferde hätten fröhnen müssen.
* In den Chroniken des Zeitalters Ludwig XI. von Frankreich findet sich ein merkwürdiger Umstand verzeichnet, der uns ein Beispiel von auffallender Rücksicht gegen das Weib giebt. So oft nämlich der König mit der Königin in das Hotel de Bille zur Tafel geladen war, bereitete man ein Bad für die Königin und neben dem ihrigen ein niederes für eine Pariser Bürgerin. — Selbst noch in den ersten Zeiten Ludwigs XIV. standen die höchsten Persotten mit verschiedenen Klassen ihrer Unter- thanen in mannigfacher und enger Berührung. So heißt cs in dem Festbericht von der: Tauffeierlichkeiten des ersten Lohnes Ludwig XIV.: „An der Königl. Tafel haben gespeist die Frau des Civil-Lieutenants und die Frau des Präsidenten Tambonneau", eine Thatsache, die den Höflingen Ludwigs XV. und XVI. unglaublich geschienen habet: würde.
8t. Alexander von Humboldt sprach dem König Friedrich Wilhelm IV. von der geographischen Verbreitung des Guano und beschloß seine Mittheilungen mit dem Aussprüche: „Man kann sagen, der beste befindet sich unter der Linie." „Na," erwiderte der König lachend, „der unter meiner Landwehr ist auch nicht schlecht!"
8t. In einer Hofgesellschaft unter Friedrich Wilhelm IV. wurdet: Räthsel aufgegeben. Der König empfahl einer Dame, die in seinen Ungunsten stand, eitlen Silberlöffel in den Mund zu nehmen, und darauf zu blicken; solches bedeute „Silberblick". Der Dame aber, welche das Räthsel zu löset: hatte, raunte er verstohlen zu: „Löffelgans".
Technisches.
Pariser Stadtbahn. Wenn die Kammern Ja sagen und die erforderlichen 380 Millionen Mark aufgetrieben werden, was wir allerdings bezweifeln möchten, brauchen die Pariser in einigen Jahren das verhaßte Berlin nicht mehr zu beneiden. Ja, sie sind der Reichshanpt- stadt in eisenbahnlicher Hinsicht „über", da sie eine erhebliche Anzahl Kilometer Stadtbahnen mehr besitzen werden. Die Berliner Stadtbahn ist nur 11 Kilometer lang, die künftige Pariser wird dagegen 55 Kilometer aufweisen, wovon freilich nur ein Bruchtheil viergeleisig zur Aufnahme der
Fernzüge. Von der Gesammtlänge entfallen 20 Kilometer aus Biaducte, 14 auf offene Einschnitte und 21 auf Tunnels, was durch die hügelige Lage der Stadt, sowie durch die allzugroßen Kosten der Erwerbung der Grundstücke in der inneren Stadt zur Durchführung eines Biaductes bedingt wird. Die künftige Bahn, welche sämmtliche bisherige Bahnhöfe berührt, besteht aus einem Ringe, der ungefähr der Richtung der jetzigen äußeren Boulevards folgt, einer den West- mit dem Lyoner Bahnhof verbindenden, zur Aufnahme der Fernzüge mit zu verwendenden Querlinie, und endlich aus einer ganz Paris von Norden nach Süden durchschneidenden, ganz unterirdischen Bahn, welche in der Nähe der Notre-Dame-Kirche unter den beiden Armen der Seine durchgeführt wird. Der Westen der Stadt kommt freilich hierbei zu kurz. G. v. M-
Neuere Errungenschaften der Dunkelkammer. Gleich dem Blitze wurde in letzter Zeit vielfach der vom Menschen künstlich erzeugte Miniaturblitz ans der Elektrisir- maschine Photographirt und zwar mit Hülfe eines von Ducretet erfundenen, sehr einfachen Apparates ohne Ob- jectiv. Es wird natürlich in einem verdunkelten Raum operirt und die lichtempfindliche Platte so gestellt, daß sie den Schein des überspringenden Funkens voll empfängt. Durch die erzielten Photographien wurde ermittelt, daß der künstliche elektrische Funke gleich seinem himmlischen Nebenbuhler kein Zickzack, sondern eine geschlängelte Linie bildet und sich aus seinem Wege, wohl in Folge des Luftwiderstandes, vielfach verzweigt. Besonders merkwürdig ist die Gestaltung des auf eine isolirende Platte aufschla- genden Funkens. Die Elektricität stiebt nach allen Seiten auseinander, wobei sie sich in unendlich zarte Stränge auflöst. — Ebenso staunenerregend ist das Tommasi nach vielen Versuchen gelungene Photographiren im Finstern. Tommasi befestigt zwischen zwei Metallbürsten eine leichtempfindliche Platte und verbindet dann die Bürsten mit den Polen einer Elektrisirmaschine. Durchläuft nun der Strom die Platte, so erscheint nach kurzer Zeit auf derselben jeder Gegenstand abgebildet, welcher sich vor ihrer lichtempfindlichen Seite befindet. G. v. M.
Die indische Ueberlandpost. Im Publikum herrschen unklare Vorstellungen über den Schnellzug, welcher allwöchentlich die umfangreiche indische Post von London nach Brindisi und umgekehrt befördert und sich in letzterer Stadt an die Schnelldampfer aus und nach Indien und Australien anschließt. Man glaubt unter Anderem, der betreffende Zug fahre mit einer Geschwindigkeit sondergleichen, halte fast nirgends an und bestehe nur aus einer Lokomotive und einem Packwagen. Folgende Angaben dürften zur Richtigstellung dieser Ansichten beitragen. Die im Laufe der Woche aus London und der Provinz eingegangenen, nach dem Osten bestimmten Postsachen verlassen London Freitags früh und werden gleich nach Calais geschafft, wo sie auf die zweite Sendung warten, welche aus den in letzter Stunde aufgegebenen Sachen besteht. Diese zweite Sendung verläßt London um 8 Uhr Abends, wird in Dover sofort auf einen Extradampfer geschafft und erreicht Calais etwas vor halb eins. Nachdem die Ueber- ladung auf den harrenden Eilzug erfolgt, verläßt dieser um 12,36 Morgens die französische Hafenstadt und nimmt nun seinen Lauf unter Umgehung von Paris über Dijon nach dem Montcenis und von dort weiter über Turin und Ancona an Italiens Ostküste entlang nach Brindisi, wo er Montags um 1 Uhr 20 Minuten Morgens anlangt. Nach erfolgter Ueberführung der Post auf den bereitstehenden Dampfer verläßt dieser um 5 Uhr Morgens Italiens Gestade. In umgekehrter Richtung besteht wegen der unbestimmten Ankunftszeit der Dampfer kein bestimmter Fahrplan, was den betheiligten Bahnverwaltungen große