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Allgemeine Rundschau.
Ich will Euch Etwas sagen: sie war fromm. Fromm? .. Vielleicht nicht im gewöhnlichen Sinne. Sie hielt nicht immer den Meßbesuch ein an den Sonntagen in Ternicoli drüben, und sie lief nur zu den hohen Zeiten zur Beichte, und machte nie eine Wallfahrt.
Aber wenn der Padre Giuseppe, der Kapuziner, mit seinem Grauthierlein kam und mit seinen Körben, in denen er die Gaben der Frommen sammelte, das war stets ein Festtag für Zitta. Das sah man ihr an. Wenn sie den Alten von Weitem daherkvmmen sah, strahlte ihr schon das ganze Gesicht; die Augen leuchteten ihr, die Spindel ruhte in ihrer Hand und ihr Herz pochte so heftig! . . In der That, wäre der alte Padre jünger gewesen, man hätte sich weiß der Himmel was für böse Gedanken machen können über diese Zitta. Aber so schwieg die größte Bosheit.
Ein Festtag war im blauen Hofe jeder Besuch des Padre. Die Bäuerin tischte guten schwarzen Wein auf krügeweise, und süße Mandolini, welche sie stets in: Schranke bereit hatte, und Feuer wurde auf dem Herde geinacht und bald prasselte ein Huhn im Oele.
Und Padre Giuseppe saß bei der Bäuerin und erzählte ihr von seiner Sammelreise.
Er kam immer erst, wenn er über dem Po drüben gewesen. Und über dem Po drüben, dort wo die Kähne landeten, führte zwischen die Hügel ein Weg hinein. Man wanderte dort immer unter dem Schatten wehender Blätter. Und wenn man ein halbes Stündchen landeinwärts gegangen war, kam man an ein altes fürstliches Jagdschloß, das aber jetzt in Trümmer fiel. Das schönste Haus der kleinen Ortschaft Labbia, welche unterhalb des Schlosses lag, war das Amt des »Uni-A-oirmstro«, des alten Moro. Der hatte einen Sohn, einen riesengroßen, stolzschauenden und doch so gutmüthigen Sohn, dessen Augen blau wie der Himmel waren und die Zähne weiß'wie die Blüthen. Ceccone hieß der junge Mensch, und war damals, als die Hochzeit Zitta's in der Kirche von Ternicoli drüben gefeiert worden war, zufällig dagewesen. Er war eingetreten, weil die nirchthür offen war und draußen eine solche Sonnengluth herrschte. Er hatte die Braut früher nie gesehen. Aber als sie mit ihrem Gatten beim Herausgehen an Ceccone Moro vorüberkam. da hatten sich die Augen der Braut und die des jungen reckenhaften Mannes getroffen. Und er hatte unwillkürlich, willenlos herans- gestvßen: — „Wie schade! . ."
Und sie war roth geworden bis an die Stirne hinauf.
Und später, wenn Padre Giuseppe kam, erzählte er immer, daß der Ceccone über dem Wasser drüben sich stets bei ihm erkundige nur die schöne Bäuerin vorn blauen Hofe, und daß er sie höflich grüßen lasse. Und wenn der Padre fortging, fragte er die Zitta immer: „Und darf ich dem jungen Moro sagen, daß Ihr seinen Gruß erwidert?"
— Und sie sagte: „Wenn Ihr wollt, meinetwegen, Padre Giuseppe." So ging es manches Jahr. Und gesehen haben sich Zitta und Ceccone Moro, die Bäuerin vom blauen Hof, und der Sohn des dürMmastro von Labbia in dieser ganzen Zeit nicht ein einziges Mal.
Nur als dann Ceccone eines Tages beim Holzfällen verunglückte (er hatte nie geheirathet) und gestorben war, da sah man Zitta „noch frömmer" werden. Sie ging nun oft in die Kirche, wenn die Sonne sank und betete
— betete so andächtig. E. M. V.
Misrellrn,
Das verlorene Paradies. Die Meisten kennen diese herrliche Schöpfung Miltons, den Wenigsten möchte aber die Veranlassung zu der elastischen Dichtung bekannt sein. Milton war ein großer Naturfreund, er liebte besonders durch Feld und Wald zu streifen, ziellos, wie der
Schmetterling leicht und lustig von einer blumigen Aue zur anderen zu flattern. Im kühlen Walde oder unter einem schattigen Baume wurde dann gerastet, der Dichter zog seine Schreibtafel hervor und brachte die ihn bewegenden Gedanken zu Papier — unsterbliche Lieder! Doch nicht immer suchte Milton die Einsamkeit, oft begab ersieh in Gesellschaft fröhlicher Jngendgenossen hinaus auf's Land und wo die heitere Schaar einkehrte, war sie willkommen.
Eines Tages hatte man eine weitere Fußtour gemacht, die Sonne brannte heiß und Milton, welcher den Genossen vorausgeeilt war, ließ sich unter einem schattigen Baume nieder, um alsbald, überwältigt vou Hitze und Müdigkeit, einzuschlnmmern. Da kam die Landstraße daher ein Reisewagen gefahren, im Fond nickte eine alte Dame, doch ihre Begleiterin, ein junges, schönes Mädchen, träumte mit offenen Augen. Plötzlich bemerkte die Fremde den schlummernden Dichter, sie brauchte nicht einmal dein Postillon ein Halt zuzurnsen, die Pferde gingen ans den: sandigen Wege ohnehin im Schritt, leichtfüßig entstieg die junge Dame dem schwerfälligen Gefährt und trat zu Milton. Von seiner hvhenStirn leuchtete der Genius und die rothen Lippen murmelteir im Schlummer Dichterworte! — Die Fremde schien wie bezaubert, sie blickte schnell um sich, ihre Begleiterin nickte im Wagen, der Postillon schlief auf dem Bock und nur die Pferde wandten wie neilgierig ihre Häupter. Die schöne Fremde beugte sich tiefer und tiefer und küßte den jungen Dichter, dann aber, wie erschreckt über das, was sie gethan, sprang sie in den Wagen zurück. Der Postillon war inzwischen erwacht, eine leise Aufforderung der schönen Insassin ließ ihn die Pferde antreiben, es ging dahin — kaum gegrüßt, auch scholl geschieden! —
Miltvns Gefährten hatten die ganze Scene ans der Ferne beobachtet, sie kamen jetzt herbei, den Dichter zu wecken.
„Was stört Ihr mich," rief Milton, ich träumte so süß!" -
„Und hast darüber Dein Glück verschlafeil!" spotteten die Freunde und erzählteil ihm das kleine Abenteuer.
„Wo ist sie?" rief der Dichter. „Ich muß sie sehen, sprechen. — Ließ sie kein Erinnerungszeichen zurück?! - -
Er machte sich sogleich mit seinen Genossen ans, die schölle Unbekannte zu suchen, doch, war man absichtlich vom Wege abgewichcn, sie fanden keine Spur von der Fremden. Milton suchte sie noch lange, jahrelang, sein ganzes Leben, doch vergebens, er fand es nicht, sein verlorenes Paradies — jene märchenhafte Begebenheit soll ihn veranlaßt haben, seine herrlichste Dichtung zu schreiben, tüe lost paraUiss! — E. Bruneck.
* Das nachfolgende kleine Gedicht, „Undank" betitelt, stammt von Theobald Höck, einem Pfälzer (1573 geb.l. Wir wissen von dem Dichter sonst wenig oder gar nichts. Unsere Leser werden das mit uns bedauern, sobald sie gelesen haben:
Nacht und Tag Hab' ich gedient Eim Fräulein rein und zarte,
Damit ich nur ihr Lieb' versühnt,
Kein Fleiß noch Müh ich sparte.
All ander Lieb, Freud, Lust und Geld Hab' ich veracht aufgeben,
Ja alle Schätz' der ganzen Welt Allein vor ihrentwegen.
Kein ander Daus kriegt ich davon,
Leer' Stroh Hab' ich gedroschen;
Schabab,*) ein Körbel ist mein Lohn,
Die Lieb' ist ausgeloschen.
Ich Hab' gehofft so herziglich,
') abschaben — vernichten, entfernen.