Novelle von C. Zoeller-Lronheark.
i.
T^Hnd ich soll ernstlich die ganze Zeit von Dir fortbleiben, Mütterchen? Ich glaub', Du hältst es gar nicht aus."
Der schlanke Mann beugte sich über die noch immer schöne Frau und sah ihr zärtlich forschend in die sanften Augen.
„Du sollst auch mal allein an Dich denken, Georg. Noth thnt Dir die Erholung. Du bist vollkommen überarbeitet und hier kommst Du doch nie zur Ruhe. Es ist hohe Zeit für Deine Nerven, daß Du mal vollständig aus dem Bernsskreis herausgerissen wirst; und ich bin Lady Emmily zu ganz besonderem Dank verpflichtet," hierbei streckte sie der jungen hochschlanken Dame neben sich verbindlich die Hand zu, „weil sie die indirecte Ursache geworden, daß Du endlich einmal zum Entschluß kamst. Denken Sie, Mylady, seit einem ganzen Jahre heißt es alle paar Tage: nächste Woche reise ich auf alle Fälle. Nächste Woche kam aber gerade eine ganz besonders wichtige Consul- tation, oder der Herr Professor waren gerade in seineil neuesten Forschungen an einem Punkt angelangt, bei dem man sich um keinen Preis unterbrechen durfte. Ohne den dringenden Brief Ihres Herrn Gemahls, der im Namen der Jugendfreundschaft an seine Begleitung für Sie appellirte, wäre
II. 2.
Motto: „Oft schau ich in Dein bleiches Angesicht
Und quäle mich mit nimmermüden Fragen,
Was ohne Worte Deine Lippe spricht.
Was Deine ernsten Geisteraugen sagen.
(F. Löwe.)
inein lieber Herr Sohn nie zum Entschluß gekommen und hätte sich von Arbeiten aller Art derartig einspinnen lassen, daß er dabei vergessen hätte, daß es auch Pflichten der Selbsterhaltung giebt. Nun bltte ich Sie nur, Lady Emmily, halten Sie ihn fest, lassen Sie ihn nicht zu schnell wieder ausrücken, damit er seelisch und körperlich gekräftigt in seine anstrengende Berufsthätigkeit zurückkehrt. Italien wird ihn hoffentlich so sehr fesseln, daß er an kein Entrinnen denkt. Mein Gott, da läuft der Zug schon ein! Habt Ihr auch alle Sachen? Wo ist Ihr Diener und Ihre Kammerfrau? Ach, — da hätten wir ja Alles beisammen. Wickelt Euch nur tüchtig in Decken ein, über Nacht wird's kühl werden. O je, wie voll alle Coupes sind!"
Die kleine bewegliche Dame lies suchend längs des ganzen Zuges hin, der eben in den Berliner Centralbahnhof einlief. Die Arme lebhaft bewegend, die mit allem möglichen Röthigen und Unnöthigen beladen waren, rief sie ihre Begleiter schließlich an ein Coupö erster Klasse hin.
„Es ist wenigstens nur ein Passagier darin, und der scheint obendrein zu schlafen," flüsterte sie und warf die Taschen, Decken, Körbe schnell auf die leeren Plätze. Dann folgte der Abschied, eine endlos lange Umarmung mit Thränen und Kliffen, der der ungeduldige Schaffner mit knappem: „Einsteigen!" schließlich ein Ende machte.
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