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C. Zoeller-Lionheart.
Lady Emncily hatte schon Platz genommen und grüßte mit graziöser Hand und freundlichem Kopfnicken zum Fenster hinaus, als jetzt die Thür hinter Professor Georg Lenz zuschnappte.
Der Zug setzte sich langsam in Bewegung, auf dem Perron schwenkten die Zurückbleibenden die Taschentücher den flatternden weißen Abschiedsgrüßen ans den Conpsfenstern zu. Langsam dampfte der Zug zur Bahnhofshalle hinaus, über Brücken hin, unter denen die belebten erleuchteten Straßen phantastisch eine Secunde anfblitzten, um Alles sofort wieder in grauen Dampf, in qualmende Nacht versinken zu lassen, bis blitzartig, wie Höllenfeuer, schreckenerregende Flammenhelle seitwärts wieder auszuckt, um desto tieferem Dunkel zu weichen, als sie nun die Stadt hinter sich hatten.
Um die Deckenlampe waren die Seidenschirme fast ganz znsammengezogen. Im Coups Dämmerung.
„Ich vermnthe, Sie mögen noch nicht schlafen, Lady Emmily?" fragte der Professor höflich, als sie das Weichbild der Stadt hinter sich gelassen und er alle Neiseesfeeten in die Netze gepackt.
„Es ist eine egyptische Finsterniß hier," schmollte Lady Emmily verzogen. „Wer kann um 11 Uhr schon an Schlaf denken? Um der Liebe Christi halber, machen Sie vor allen Dingen Licht, man sieht ja Einer den Andern nicht und graut sich in dieser Dämmerung vor seinem eigenen Schatten."
„Sie gestatten?" redete Professor Lenz, die Hand am Lampenschirme das bewegungslose schwarze Etwas in der gegenseitigen Wagenecke an.
Ihm war, als beuge sich die Silhouette aus dem Schatten der Wand eine Seennde in das Halblicht vor. War das eine Zustimmung? Auf die Gefahr des Mißverständnisses hin mußte er es wagen, denn Lady Emmily's Füßchen stampfte schon ungeduldig den Boden. Lady Emmily Hanghton war an Warten oder Nichtbeachtung ihrer Wünsche bislang nicht gewöhnt, das lag in ihren: ganzen herrischen Wesen.
Die beiden Schirmseiten sielen zurück. Weiches Licht überflnthete das ganze Coups. Professor Lenz' Blicke flogen, während er sich in die Polster sinken ließ, unwillkürlich in die jenseitige Ecke zu dem seltsam schweigsamen Reisegefährten.
Beinahe hätte er einen Laut der Verwunderung ansgestoßen, den nur die Wohlerzogenheit znrück- hielt. Der Reisegefährte war — eine Reisegefährtin —- eine Dame, unbestritten im wahren Sinne des Wortes, die überdies nicht schlief, sondern die großen grübelnden Augen weit offen, mit eigenthümlich ausdruckslosem Starren ins Leere gerichtet hatte. Die Angen zuckten und blinzelten nicht einmal, unter den, wie vom vielen Weinen gerötheten Lidern, als das Licht sie so plötzlich traf. In fich gekehrt, ver
schleiert, mit einem eigen weltfremden Blick, darin verharrten sie selbst bei dem concentrirten Anschauen des Gegenübers, dessen Doctor-Jnteresse lebhaft fiir die absonderliche Erscheinung geweckt wurde.
War diese geisterhafte Todtenblässe die der Krankheit oder das Resultat eines ununterbrochenen Aufenthaltes in lustlosen Räumen? Waren es Leiden des Körpers oder der Seele, die die unverkennbare Signatur des Schinerzes diesen feingeschnittenen Zügen eingegraben?
Eine erstaunliche Nichtbeachtung der Tagesmode lag in der Art und Weise, wie sie ihr volles dunkles Haar geordnet trug, von dem sie den Hut schon vorher genommen haben mußte, da er im Netz lag und sie, seit man das Coups betreten, ja regungslos in ihrer Ecke gerächt hatte. Weder Stirnlöckchen, noch abgeschnittene Haarwellen verminderten die Höhe und Breite einer intelligent ausgewölbten Stirn. In: ersten Augenblicke berührte das Ungewohnte der freien Schläfen das Auge fast unangenehm. Es nahm den: edelgeschnittenen Statnen- kops die Weiche Jugendlichkeit, die Lady Emmily so reizend machte, es gab ihm einen fast männlich herben, prevalirend geistigen Ausdruck. In: nächsten Augenblick freute man sich jedoch, wie nichts Gemachtes den reinen Schnitt beeinträchtigte, wie klar und frei das schöne Gesicht ii: seiner, von blauen Adern durchzogenen Marmorblässe dalag.
Professor Lenz' kunstsinniges Auge wanderte unwillkürlich angezogen immer wieder in die Ecke, während er mit Lady Emmily über Tausenderlei leicht hinplanderte, und die zarte Franengestalt in Decken und Shawls mit ritterlicher Fürsorge von Kopf bis Fuß cinwickelte. Vergleichend streifte sein Blick über diese so grundverschiedenen Frauen, grundverschieden selbst in ihrer äußeren Erscheinung, hin. Lady Emmily's verzärtelte Gebrechlichkeit und Hülfsbe- dürstigkeit, die sie selbst in den kleinsten Bedürfnissen abhängig von der Dienstbereitheit Anderer machte, — jene herb verschlossene, wortkarge selbstständige Frau, die auf jede Höflichkeitsfrage nur ein dankendes Kopfneigen hatte, die ersichtlich ohne Bedienung, noch irgend welchen Schutz, reiste, die Alles in ihrer Reisetasche zu führen schien, um sie selbst ans den Stationen unabhängig von der Hülfe Anderer zi: machen. In ihrer Kleidung, der Lvden- jacke mit Stehkragen, dem Männersilzhütchen, den enganliegenden Stulphandschuhen, schien sie Alles vermieden zu haben, wasToilettennnbeqnemlichkeiten auf der Reise Hervorrufen könnte, und jedes Bestreben der Verschönerung in der Wahl der dunklen anspruchslosen Kleidung war aufgegeben, während Lady Emmily's kokett elegantes Reisekosten:: . fein berechnet war, durch Schnitt und Farbe die natürlichen Gaben noch zu erhöhen. Das Svnnengold der weichen Stirnlöckchen, die rosige Zartheit der