Heft 
(1.1.2019) 10
Seite
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Ferdinand Hey'l.

Habt Ihr geseh'n das Kirchlein ragen An jäher Wand, so knapp gebaut,

Und drüber hoch die Wolken jagen Um's Nitterschloß, im Sturm ergraut.

Und unten tief die Hütten zagen Bon drohenden Felsen überschaut,

So hat ein unbekanntes Bangen,

Ein heimlich Grauen Euch umfangen."

Sie ist in der That eine Merkwürdigkeit, diese Felsenkirche von Oberstein, deren Thnrmspitze sich vollständig an das Melaphyrgestein anlehnt. Sie soll von Weyrich dem VIII. von Dhaun und Oberstein etwa 1482 erbaut worden sein, weil das ältere Gottes­haus drunten an der Straße dem Einsturz drohte. Auf einem terrassenartig angelegten Treppenwege ge­langt man hinauf zur Pforte. Im Innern findet sich nahe dem Eingänge ein Grabstein mit einem Ritter in Lebens­größe, der als Er­bauer derselben ansgegeben wird.

Eine dem Fels­gestein entspru- delnde Quelle in der Kirche selbst, spendet ein treff­liches Trinkwas­ser. Auch ein altes Gemälde ist leidlich erhalten.

Erhellt wird der Raum rei­chend für nahe 800 Personen nur durch zwei auf der äußeren Seite angebrachte Fenster, die zum Theil mit Glas­gemälden ge­schmücktsind. Im

Muttergestein selbst finden sich Moosbildungen und nicht leicht wohl trifft man irgendwo ein eigenartigeres Gotteshaus. Zur Zeit benutzt die Kirche die kleine evangelische Gemeinde, obwohl erstere durchaus ka­tholischen Ursprungs ist. Die katholische Gemeinde hat sich ein eigenes hübsches Gotteshaus aus dun- kelrothem Melaphyr dicht an der Eisenbahn und nahe dem Bahnhose errichtet. Die ganze Einwoh­nergemeinde zählt überhaupt nur etwa 5000 Seelen.

Es ist eine wunderbare Sage die sich an diese eigenthümliche Kirche knüpft, oder noch besser eine Sage, welche dem Kirchlein selbst wohl ihre Ent­stehung verdankt, ganz entsprechend dem frommen Sinne der Bevölkerung. Die Sage erinnert an jene von Heinr. Heine (die feindlichen Brüder) bei den Brnderburgen Liebensteiu und Sterrenberg am

Eisenbahnbrücke bei Oberstem.

Rhein poetisch behandelte und ist wohl Werth, daß sie ansbewahrt werde. Auch sie hat ihre Dichter in Simrock und Gustav Pfarrins gefunden.

Im II. Jahrhundert besaßen die Burg Ober­stein zwei Brüder, Wyrich und Emich, die Söhne Wyrichs, des VII. in der Reihe der Obersteincr Grafen.

Emich war in heißer Liebe zur Tochter des benachbarten Lichtenbergers, Bertha, entbrannt und fand Unterstützung in seinen Bewerbungen durch den Vater. Nur knüpfte der alte Lichtenberger an seine Zusage die Bedingung: Emich möge zuvor bei dem Kurfürsten von Trier erwirken, daß seine Güter im Manneslehen auf die Tochter oder den Gatten mit übergehen sollten. Emich zog deshalb gen Trier und in seiner Abwesenheit gelangte sein

Bruder Wyrich, auf der Jagd nach einem Edel­hirsch,indieNähe der Burg Lich­tenberg. Müde von der Jagd leitete er das Roß den Burg­weg hinauf und ward dort von Bertha als Bru­der des heimlich Geliebten freudig willkommen ge­heißen. Der Rit­ter selbst hatte keine Wissenschaft von dem gehei­men Bande, wel­ches das Burg­fräulein mit dem fernen Emich ver­band. Ihre Zu­vorkommenheit mißdeutend entbrannte auch er in heißer Liebe für die Schöne. Der Gedanke, sie nicht sein eigen nennen zu dürfen, war für ihn ausge­schlossen. Da kehrte Emich von Trier auf die väterliche Burg Oberstein zurück und pries dem Bruder sein hohes Glück, theilte mit, daß er alle seine Wünsche erreicht und daß nunmehr seiner frohen Zukunft nichts mehr im Wege. Wüthend füllt der enttäuschte Wyrich über den jüngeren Bru­der her und denselben erfassend, trägt oder schleift er ihn, sinnlos durch Eifersucht, dem offenen Fen­ster zu und stürzt ihn in die grausige Tiefe.

Starr steht er nach vollendeter That, jammernd um den verlorenen Bruder flieht er die väterlichen Hallen und sucht Trost im Kloster von St. Jacob in Mainz. Vergeblich! Auch im Kampfe meidet