Heft 
(1.1.2019) 10
Seite
455
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Die einer neuen ^eneraiion.

Bon

Dr. M6ä. Hermann Klencke.

arl: Jaxthausen ist ein Dorf und Schloß an der Jaxt, gehört seit zweihundert Jahren den Herrn von Berlichingen erb- und eigenthümlich zu.

Götz: Kennst Du den Herrn von Berlichingen?

Karl: (sieht ihn starr an).

Götz: (vor sich) Er kennt wohl vor lauter Ge­lehrsamkeit seinen Vater nicht. Wem gehört Jaxt- hausen?

Karl: Jaxthausen ist ein Dorf und Schloß an der Jaxt

Götz: Das frag ich nicht Ich kannte

alle Pfade, Weg und Furten, eh ich wußte wie Fluß, Dorf und Burg hieß.

Mit diesem Dialog zwischen Götz v. Ber­lichingen und seinem Sohn Karl verspottet Goethe den Zustand des damaligen Unterrichts: die pedan­tische Gedächtnißkrämerei, das mechanische Lernen, das schulmäßige Wissen ohne Beziehung auf das Leben.

Wir sind heirte im Kreislauf der Zeiten in denselben Fehler verfallen, den Goethe damals be­kämpfte, nachdem jene philosophisch angeregte Zeit, die unsere großen Dichter lind Denker hervor­brachte, abgelaufen war, sich überlebt hatte und darauf die freie Naturforschung unsere Welterkennt- niß in großartiger Weise erweitert hat, ich sage ili denselben Fehler, allerdings aus höherer Cultur- stnfe als in Goethes Zeit. Immer wechseln in der Culturgeschichte der Menschheit die zwei Rich­tungen ab, daß man einmal alles Heil erwartet von Ausbreitung der Kenntnisse, von verstandes- mäßigem Wissen und dann wieder auf eine Ueber- sicht über die Gesammtcultur dringt, einheitliche Weltanschauung fordert und aus die Gestaltung des Lebens nach dieser Weltanschauung den Haupt­werth legt.

Als vor 30 Jahren die verknöcherte Philo­sophie vor der jungen siegreichen Naturforschnng die Segel einziehen mußte, der Naturforscher mit jedem Spatenstich ungeahnte Schätze hob, da ent­stand in Uebertreibung der gesunden Richtung die Meinung: Der Menschheit könne nur geholfen

werden durch das größere reichere Wissen, ein goldenes Zeitalter der Cultnr werde heraufgesührt werden durch Verbreitung von Kenntnissen.

Karl Voigt versuchte die Predigten in der Kirche und den Gottesdienst zu ersetzen durch naturwissen­schaftliche Vorträge, und als der politische Idealismus in der 1848 er Revolution die schwerste Enttäuschung erleben mußte, da gab mau das Losungswort ans: Erst erzieht eine bessere Generation im Geiste der Naturwissenschaft und verbreitet unter dem Volke hinreichende Kenntnisse und Wissen. Als Organ dieser Richtung und dieses Gedankenganges fand dieGartenlaube" so schnell eine so große Verbreitung. Sie kam einem Bedürfnis; des deutschen Volkes, das sich die Resultate der herrlichen Natnm forschung zu eigen machen wollte, entgegen. Aber wenn unser Jahrhundert auf dem Boden der Naturwissenschaft, der Technik und der Erfindungen einen Cultursprung gethan (hat, so sind diesem Sprunge die Veranstaltungen des moralischen Lebens, so ist die Umgestaltung der sittlichen und gesell­schaftlichen Verhältnisse nicht in gleicher Schnellig­keit erfolgt und unsere Zeit hinkt, weil ihre mora­lische Stütze kürzer ist als ihr intellektuelles Piede- stal, unsere Zeit hinkt, weil Verfassung und Sitte eine Umgestaltung nicht erfahren haben, gemäß den gewaltigen Umgestaltungen und Erschütterungen aller socialen Verhältnisse durch die Maschinen und Maschinenarbeit.

Wenn wir nun heute, wir Söhne des neu- erstandenen deutschen Reiches, angesichts unserer ge­sellschaftlichen Zustände, angesichts einer drohenden socialen Revolution, angesichts der Zerfahrenheit unserer politischen Parteiverhältnisse und im Hin­blick auf die nervöse blasirte Generation, auf die Zunahme von Irrsinn und Verbrechen und in: Bewußtsein der Klagen über die Vernachlässigung der Charakterbildung und das feile Streberthum, über das Verschwinden der echt kindlichen Naivetät bei den Kindern re., ich sage, wenn wir nun in Rück­sicht dessen Allen behaupten, jene Richtung, ist heute überlebt, für uns gilt es Anderes zu erstreben, so