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Robert Waldmüller. Bergan und bergab.
Wer sich von der Gewalt und der Stetigkeit des Nordwestwindes einen Begriff verschaffen will, der stecke ans dieser Fahrt einmal die Nase ans dem Fenster, wenn der Conducteur Krima-Neudorf ruft. Alle Bäume der dortigen Chaussee sind ohne jede Ausnahme so windschief, als ständen sie aus Sylt oder aus dem Strande bei Husum und müßten Tag und Nacht Neptnn's Blasebalg im Rücken haben. Nun, wir sind allmählich auch über diesen Theil der Fahrt hinansgelangt und böhmisches Deutsch klingt an unser Ohr, zwar heißt es nicht mehr wie weiland „die Bäß, die Büß, euer Gnaden", aber das Gepäck muß heraus; wir haben die böhmische Stadt Weipert erreicht. Sie soll etwa 6000 Einwohner zählen und der weibliche Theil huldigt, wie wir schon in den ersten von uns durchwanderten Straßen wahrnehmen, den Stirnlocken.
Ein schmales Bächlein, die Pohl, bildet die Grenze. Es windet sich unablässig, so daß ein Kartograph, der hier gewissenhaft die Grenze zu Papier bringen wollte, Jahr ans Jahr ein daran zu thun haben würde; aber im Vorbeisahren blickt sich's ans das drollige Bächlein gar gut hinab; man meint, es rufe den hüben wie drüben liegenden säubern, mit grauem Schiefer gedeckten Hänschen zu: ei Possen, nehmt's mit den Grenzpfählen nur nicht so Pedantisch, das ganze Ländertrennen ist ja nur ein Scherz!
Auch bestätigt uns eine zu uns eingestiegene Alte, daß die Leute hüben und drüber: eigentlich kaum wissen, daß sie nicht zusammen gehören, trotz der trennenden Confession, vermuthlich weil das Posamenteln auch diesseits fleißig betrieben wird und Alles daher in stetem Verkehr ist. — „Und die Mundart?" frage ich.
„Freili," meint sie, „da Halls einen Unterschied."
„Zum Exempel?"
„Nn, damit verhält sich's nämli so: ans der sächsischen Seite schreibens am Ende O, auf unsrer Seiten aber A."
Am Ende? Das war mir nicht ganz verständlich und ich mußte wieder um ein Beispiel bitten.
„Gut," sagte die Alte, „setzen wir den Falt, mich fraget Einer von der sächsischen Seite, ob ich a (auch) in Schmiedeberg war, da fragt er nicht: Mutter, sein Sie a in Schmiedeberg gewesen, sondern er spricht: Mutter, sein Sie o in Schmiedeberg gewesen."
Das hatte also mit den Worten ausgedrückt werden sollen: aus der sächsischen Seite „schreibens am Ende O."
Im Uebrigen fehlte es dieser Alten nicht an Nachdenken und zu meinem Erstaunen vertrat sie dabei die Ansicht — die überhaupt in Weipert von Vielen getheilt werde — man solle nur getrost eine czechische Schule in Weipert beschaffen; warum?
weil die Czechen, welche deutsch lernten, zu sehr gegen die einsprachigen Weiperter in Vortheil seien. Könne man mehrere Sprachen, so finde man aller Orten sich durch. So machten's die Inden und deshalb ständen ihnen alle Häuser offen.
Auch wieder ein Trvpslein Wasser aus die Mühle der Herren Rieger und Consorten.
Und so gelangen nur denn nach und nach in das Dux-Teplitzer Thal hinab. Es ist gen Süden mit allerlei malerischen Bergen besäumt und wer wollte leugnen, daß es voll ist von lieblichen Partien? Aber die Luft ist qualmig, man athmet aller Orten Brannkohlenstaub und Gase ein, — wer ans der Gebirgsluft kommt, fühlt eine Degra- dirnng. Nicht minder vermißt rnan Sauberkeit und Behagen. Aller Orten die freudlosen Erscheinungen der heimkehrenden oder ihre Schicht beginnenden Bergleute, kärglich ist die Löhnung und kärglich schaut's daheim unter den Ihren ans. Der Unterschied der Wohnungen, z. B. in Graupen, verglichen mit denen der Dörfer und Städtchen, die wir in: Rücken ließen, ist ein sehr auffälliger. Wem fiele es hier unten wohl ein, sein Schieferdach und seine Schieferwand mit mosaikartig eingefügtem andersfarbigem Schiefer zu schmückeil? In dem sächsischen Dorfe Hopsgarten an der Zschoppau waren in dieser Art so viele Namenszüge und Arabesken an eine simple Scheune verschwendet, daß wir uns sagten: hier hat ein Schieferdecker eine Scheuer als Visitenkarte benutzt. Aber gefehlt, bald kamen wir dahinter, daß jedes zahlungsfähige Bäuerlein diese unschuldige Passion theilte und daß dies Stammeln des Kunstsinns etwas Landesübliches war. Von nichts Aehnlichem wüßte ich aus den böhmischen Dörfern am tieferen Hange des Erzgebirges zu berichten.
Sv setzt es denn auch nicht in Verwunderung, daß in Mariaschein die Jesuiten den Kreuzgang, der die Kirche nmgiebt, in einem Zustande belassen, der kann: vernachlässigter gedacht werden kann. Die Wandmalereien desselben sind nur zum kleinen Theil noch erkennbar. Sie handeln zumeist von Wunderwirknngen des in der Kirche verwahrten berühmten wunderthätigen Madonnenbildes, von welchem erzählt wird, es sei zur Zeit der schlimmsten Heimsuchungen der katholischen Kirche öfter durch himmlische Fügung in einer Linde verborgen worden. Schämt inan sich dieser Schildereien, weil sie von wenig geübten Malern herrühren, da sollte man sie lieber mit Kalk überweißen. Aber vielleicht sollen die Wallfahrer glauben, es fehle den Schülern Jesu an Mitteln. Dann jedoch brauchte man auch nicht das Innere der Kirche mit so vielem Luxus ausznstatten. — llnd nun die Bettlerschaar ans allen Wegen! Machen wir, daß wir nach Hause kommen.