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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
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vielen Kämpfen innerhalb des jüdischen Stammes hat das exklusive Talmudstudium doch für viele Jahrhunderte das Feld behauptet, es bildete bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts fast das alleinige Bildungselement der Juden.

Jedenfalls haben wir es mit einem hochin­teressanten, kulturgeschichtlich äusserst wichtigen Buch zu thun, das gewiss nicht verdient, mit dem kurzen, geringschätzigen Ausspruch von demrab- binischen Aberwitz abgethan zu werden, wie es oft selbst in nichtjudenfeindlichen Kreisen zu ge­schehen pflegt. Von den Leuten, die den Talmud nicht lesen, ja nicht lesen können, und ihn doch verleumden, wollen wir gar nicht reden. Unsere Aufgabe ist es auch nicht, eine Apologie des Talmuds zu schreiben, am allerwenigsten ihn im Zusammenhang mit den politischen Tages­fragen zu behandeln. Denn dies ist es gerade, was wir im Namen der wissenschaftlichen For­schung zu beklagen berechtigt sind, dass nämlich eine so bedeutende Litteratur, die entschieden eine grosse Rolle in der Kulturgeschichte der Mensch­heit spielt, zum Sibboleth im Parteikampf gemacht worden ist. Im Uebrigen geht es der jüdischen Litteratur und der Wissenschaft des Judenthums nicht viel besser. So mancher Dichter oder Denker des jüdischen Stammes hätte seinen Platz in der Geschichte der Weltlitteratur erhalten, wenn die politische Stellung der Juden in den meisten europäischen Staaten nicht den Gegenstand der erbitterten Kontroverse gebildet hätte: man scheut sich, einen Salomon Ibn-Gabirol zu nennen und mach Gebühr zu würdigen, weil man dann nicht mehr mit solcher Missachtung von der Bedeutung des Judenthums in der Geschichte sprechen dürfte,