sich die mündliche Lehre ausschliesslich auf palästinensischem Boden. Wohl sind manche bedeutende Gesetzesforscher aus andern Ländern hervorgegangen, unter ihnen Hillel der Babylonier, der die grösste Berühmtheit erlangt hat; aber alle haben sie sich erst in Palästina in der Kenntniss der mündlichen Lehre vervollkommnet und sind da zu grosser Bedeutung gelangt. In Babylonien befand sich seit der Zerstörung des ersten Tempels der Grundstock der Judenheit; dort kamen die Juden in der Folge zu grossem Wohlstand und auch zu einer günstigen politischen Stellung. Sie erfreuten sich einer weitgehenden Autonomie, jedenfalls der ausgedehntesten Religonsfreiheit. Hingegen gestaltete sich die Lage der Juden in Palästina seit dem Beginn der römischen Herrschaft immer trauriger. In Babylonien war somit der Boden für die Fortentwickelung des Judenthums sehr günstig. Trotzdem konnte die babylonische Judenheit Jahrhunderte hindurch zu keiner geistigen Selbständigkeit gelangen, und ein berühmter Lehrer in Palästina (R. Jochanan) meinte einst treffend: „Die babylonische Judenheit hat Lern-, aber keine Lehrfähigkeit“.
Zur Zeit, als R. Jochanan (um die Mitte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts) diesen Ausspruch mit der unverkennbaren Spitze gegen die babylonischen Lehrhäuser that, stand aber bereits das Studium der mündlichen Lehre in Babylonien in hoher Blüthe und drohte jenes in Palästina in Schatten zu stellen. Die geschichtlichen Anfänge des Talmudstudiums in Babylonien datiren aus jenen Tagen. Zu den Schülern des Patriarchen R. Juda I. gehörten auch viele begabte Jünglinge und Männer aus Babylonien, von welchen einige