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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
Entstehung
Seite
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war somit in der ersten Zeit nicht so umfangreich; aber einen grossen und starken Folianten hat er auch damals gefüllt, und dass ein derart starkes Buchauswendig gelernt wurde, wäre doch nicht gut möglich.

Dem sei übrigens wie ihm wolle, auf den babylonischen Hochschulen wurde der Talmud nach dessen endgiltigem Abschluss eifrig studirt, und an die Schulhäupter kamen von Nah und Fern Anfragen in religiösen und rechtlichenFragen, die im Sinne des Talmuds entschieden wurden. Nur in sehr wenigen Fällen fanden es die Geonim so hiessen die Schulhäupter in jenen Schulen für geboten, einen von der talmudischen Bestimmung abweichenden Bescheid zu geben. Um jedoch nach dem Talmud zu entscheiden, musste man eine grosse Belesenheit in diesem umfangreichen Schriftthum besitzen, da, wie bereits erwähnt, die sachliche Ordnung im Talmud fast niemals gewahrt ist. Wie sollte sich der Laie in diesem Meere zurecht finden, das uferlos schien? Die ganze Judenheit War somit von den beiden babylonischen Hochschulen in religiösen Dingen abhängig. Es muss aber dabei in Erinneiung gebracht werden, dass auch Vermögens- und eherechtliche Fragen in den, Bereich des Talmuds gehören. Von Sura und Pumbeditha aus wurde somit das ganze jüdische Volk in seinem religiösen Thun und im bürger­lichen Leben beherrscht. Selbst Palästina wurde im Laufe der Zeit von Babylonien abhängig. Die dortige Judenheit beschäftigte sich in den Jahrhunderten nach dem Abschluss des Talmuds lediglich mit den agadischen Sammlungen und .nachher mit der Erforschung der heiligen Schrift.