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Die Verhältnisse in Babylonien entwickelten sich sehr verschiedenartig. Die äussere politische Lage der dortigen Judenheit war noch immer günstig, sie wurde auch nicht durch die Ausbreitung des an sich judenfeindlichen Islams verschlechtert. Im Gegentheil. Obwohl der Islam an seiner arabischen Geburtsstätte noch zu Lebzeiten des Propheten eine feindselige Stellung zum Judenthum einnahm, fügten politische Rücksichten den grossen Eroberer Omar Ibn Chatib, der nichts weniger als judenfreundlich war, die Juden in Babylonien zu begünstigen. Diese hatten nämlich unter der Herrschaft der Neuperser viel von deren religiösem Fanatismus zu leiden, sie leisteten daher dem Siegeszuge der Araber durch das persische Reich Vorschub und wurden zum Dank dafür von dem Helden und grossen Staatsmann Omar freundlich behandelt. Der jüdische Exilarch Bostena'i erhielt sogar zum Beweis der freundlichen Gesinnung die gefangene Königstochter als Sklavin zum Geschenk. Omar regelte auch die Unterthanenpflichten der babylonischen Juden und gewährte ihnen weitgehende Religionsfreiheit und auch eine gewisse politische Autonomie, wie es noch heutzutage seitens mohamedanischer Staaten der „ungläubigen“ Bevölkerung gegenüber zu geschehen pflegt.
Von dieser günstigen materiellen Lage wurde jedoch die geistige Entwickelung der babylonischen Judenheit nicht zum Guten beeinflusst. Im Laufe der Zeit trat eine gewisse Korruption in der obersten Leitung ein. Die späteren Exilarchen ahmten das despotische und habgierige Wesen der kleinen orientalischen Fürsten nach. Sie waren darauf bedacht, das Volk auszubeuten und zu