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Der Talmud : sein Wesen, seine Bedeutung und seine Geschichte / dargestellt von Dr. S. Bernfeld
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unterdrücken. Die Besetzung der höchsten Aemter in der Judenheit besorgten sie nach Willkür und Eigennutz; Rechtsbeugung und tyrannische Unter­drückung waren an der Tagesordnung, und solche Lehrer, die sich ihren Launen nicht fügen wollten, wurden gemassregelt. In der letzten Zeit arteten die Exilarchen immer mehr aus, und leider fanden sie bei den Schulhäuptern, die die geistigen Führer der Juden waren, oder doch sein sollten, sehr wenig Widerstand. Auch die Hochschulen verfielen nach und nach und büssten jede geistige Initiative ein.

Diese Zustände mussten im Laufe der Zeit Missfallen erregen. Das Willkürregiment der Exilarchenwurde immer unerträglicher und auch die Hochschulen befriedigten einen grossen Theil der Gelehrten nicht mehr. Gegen Anfang des achten Jahrhunderts war die Zahl der Unzufriedenen in der Judenheit sehr bedeutend, zum Theil grup- pirten sie sich in besonderen Sekten, wozu wohl die Anregung von Aussen den Anstoss gab; in der islamitischen Welt, die sie umgab, spielte damals bekanntlich das Sektenwesen eine grosse Rolle. In einem Theil der Judenheit herrschte in jenen Tagen ziemlich freie, ja destruktive An­schauungen über das Judenthum und das religiöse Schriftthum. Man war freireligiös gesinnt und erlaubte sich, die in der Bibel berichteten Wunder auf gewisse Vorgänge der Natur zurückzuführen. Als der bedeutendste unter jenen Rationalisten galt ein gewisser Chivi aus Balch, von dem uns Einiges durch die Widerlegungen, die ihm Saadja und Abraham Ibn-Esra zu Theil werden Hessen, bekannt ist. Man könnte vielleicht diese Erscheinung als vereinzelt hinstellen, wenn uns nicht die Thatsache überliefert worden wäre, dass