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war, vermehrte sich der Stoff nichtsdestoweniger durch die Aufnahme neuer Ergebnisse. Das Talmudstudium, das nunmehr auch die Kenntniss der späteren „Decisoren“ (Poskim) umfasste, nahm schliesslich einen Umfang an, dass es fast nicht mehr zu überblicken war. Im sechzehnten Jahrhundert versuchte R. Joseph Karo (geb. in Spanien im Jahre 1487, wanderte mit seinen Eltern im Jahre 1492 von dort aus, lebte viele Jahre hindurch in der europäischen Türkei und siedelte dann später nach dem palästinensischen Städtchen Saffed über, wo er im hohen Alter starb), dieses umfangreiche Material in seinem neuangelegten Religionskodex, dem berühmten „Schulchan-Aruch“, zu sammeln, das talmudische und rabbinische Judenthum endgiltig zu kodifi- ciren; aber auch dieser Versuch misslang. Der „Schulchan-Aruch“, der zuerst im Jahre 1565 erschien und seitdem oft wieder gedruckt wurde, ist, trotz der vielverbreiteten gegenteiligen Annahme, niemals feste Norm für das religiöse Leben der Judenheit geworden. Noch bei Lebenszeiten Karo’s schrieb der bekannte Rabbiner Mose Isserlesin Krakau „Zusätze“ zu dem „Schulchan- Aruch“. Ausserdem wurde er rasch von Kommentaren und Superkommentaren umgeben; es dauerte nicht lange und es erging ihm, wie es zuvor der Mischna, der Gemara, dem maimoni- dischen Religionskodex ergangen war. Alle hatten sie die Absicht, der Diskussion ein Ende zu machen, sie erzielten aber gerade das Gegenteil: sie lieferten der Diskussion neuen Stoff. Im gewissen Sinne ist die talmudische Diskussion noch immer nicht abgeschlossen; höchstens ist dies nur in Westeuropa der Fall, wo der Talmud von den