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werden. Der Karaismus war bereits zwei Jahrhunderte nach seiner Entstehung an einen todten Punkt gelangt und verkümmerte allmählig.
Hingegen erlebte das rabbinische Judenthum trotz der Ungunst der Zeit einen mächtigen Aufschwung; der Talmud bildete das geistige Lebenselement der Juden bis in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Er wurde von ihnen sorgfältig gepflegt, vielfach abgeschrieben, eifrig kommentirt und nach allen Seiten durchforscht. Eine derartige liebevolle Pflege ist vielleicht keinem zweiten Buch der Welt, nicht einmal der heiligen Schrift, zu Theil geworden. Unstreitig ist dies bis zu einer unerträglichen Einseitigkeit ausgeartet, was der späteren Entwickelung des Judenthums nicht sonderlich förderlich war. Als die Buchdruckerkunst erfunden war, benutzten sie die Juden seit ihren frühesten Anfängen zur Verbreitung ihres religiösen Schriftthums. Das erste Buch, das die jüdische Presse verliess, war freilich nicht der Talmud; dies lag aber an besonderen Umständen, in erster Reihe war es die Furcht vor der römischen Kirche, die der Drucklegung des Talmuds hinderlich war. Im Jahre 1489 machte man in Soncino den Anfang mit einer Talmudausgabe, die aber geheim gehalten werden musste und deshalb nur langsam fortschreiten konnte. Um das Jahr 1520 waren, nachdem der Druck nach Pesaro verlegt worden war, blos fünfundzwanzig Traktate gedruckt; die Abnehmer der Druckausgabe mussten ihre Exemplare sorgfältig vor den Augen der päpstlichen Häscher verbergen.
Erst im Jahre 1520 wurde von dem kunstsinnigen Papst Leo X. die Erlaubniss zur Druck-