Himmelreich war ihm hier auf Erden offen. Später dagegen, da auch die ſcholaſtiſche Theologie das Maaß des ſteigenden Vers derbens in der Kirche zu ihrem eignen Maaß erſehen und den Weg gefunden hatte, die ſich immer mehr haͤufenden Irrthuͤmer und Mißbraͤuche der kirchlichen Praxis vor der Wiſſenſchaft zu rechtfertigen, wurde der Ablaß, der nun gleich Suͤndenvergebung galt, ſowohl von Seiten des Prieſters wie der Laien nicht viel anders als ein Wechſelgeſchaͤft betrieben. Für die augenblickliche Verſoͤhnung des Suͤnders mit Chriſtus, für augenblickliche Beſe— ligung und innere Rechtfertigung verſprach der Prieſter nichts und der Laie erwartete nichts dafuͤr. Das Reich Gottes, das Himmelreich war uͤber die Erde hinausgeſetzt, in eine Zukunft nach dem Tode geruͤckt; und wie es fuͤr den Menſchen keinen Himmel mehr auf Erden gab, ſo wurde auch jede Heimſuchung Gottes fuͤr ſeine Suͤnden und Miſſethaten in das Fegefeuer, in ein Jenſeits nach dem Tode hinausgeſchoben. Durch dieſen heil— loſen Wechſel der Anſichten wurde die Indulgenz oder der Nach: laß der Kirchenbußen in einen voͤlligen Erlaß der Suͤnden ver— kehrt und der Sünder ſuchte in Folge dieſer weltlichen Auffaſ— ſungsweiſe ſich nicht mit feinem Gewiſſen auszuſoͤhnen, ſondern nur dieſen äußern Anforderungen zu genügen, Denn der Menſch, wie ſehr er auch fuͤr ſein hoͤheres Sein beſorgt iſt, ſucht doch vorzugsweiſe dieſem höheren Sein ſchon hier auf Erden Befrie— digung zu verſchaffen, und eine Kirchenbuße, ein Ablaßbrief, der nur fuͤr das Jenſeits Werth hat, iſt eben nur ein todter Wech— ſel, der ihm zu ſeinem wahren Heil auf Erden nicht dient. Je mehr aber dieſer Suͤndenerlaß fuͤr Geld geiſtlos und aͤußerlich wurde und jemehr dadurch das lebendige Chriſtenthum in Verfall gerieth, deſto mehr ſuchten die Paͤpſte und Geiſtlichen, deren Mehrzahl dem Volke in Glaubensloſigkeit und Verderbtheit der Sitten voranging, Einkuͤnfte aus dem Ablaßverkaufe zu ziehn. Die Kirche, hieß es, habe den Schatz des Verdienſtes Chriſti und der guten Werke der Heiligen auf Erden zu verwalten, und dieſer Schatz ſei groß genug, um für die Suͤnden aller Men: ſchen damit genug zu thun. Seit Bonifazius VIII., der im Jahre 1300 das Jubeljahr einfuͤhrte, und dadurch hunderttau— ſende von Chriſten aus allen Gegenden Europas nach Rom lockte,
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Geschichte der Reformation in der Mark Brandenburg / Adolph Müller
Seite
67
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