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beharrlich und energiſch feſtgehalten finden, fo ſehen wir in an: dern Ländern, z. B. in Belgien und zum Theil in Weſtphalen das hohe Gut des reinen Evangeliums eben ſo widerſtandslos oder ſchwankend aufgeben, wie es anfangs gewaltſam und im Widerſtreite der einzelnen Theile des Staats gegen einander auf: genommen worden war. Pflichtmaͤßigkeit und treue Anhaͤnglichkeit an legitime Formen iſt eine hohe Tugend eines Volkes und begründet mehr als irgend etwas anderes fein wahres Gluͤck. Nur weſſen Gewiſſen gewaltſam draͤngt und wer von obenher eine Berechtigung dazu erhält, darf den Grundſatz, Gott mehr gehorchen als den Menſchen, dahin anwenden, daß er die Lan— desgeſetze und die obrigkeitlichen Anordnungen zu Gunſten ſeiner ſubjectiven Anſichten hintanſetzt. Dieſe Erhebung uͤber das poſitive Geſetz wird aber nur in ſeltenen Kriſen menſchlicher Ent; wicklung ſtatt haben.
Der Aufenthalt Luthers auf der Wartburg wurde durch die Bibeluͤberſetzung, welche der Reformator daſelbſt begann, zu der heilbringendſten und ſegensreichſten Zeit fuͤr alle diejenigen, welche nach dem lautern Quell des Evangeliums durſteten. Keine Schrift Luthers hatte den Eindruck gemacht und das Licht der neuen Lehre ſo hell und durchdringend verbreitet, als das deutſche neue Teſtament, das Luther noch in demſelben Jahre feiner Wie; derkehr nach Wittenberg(1522) im Drucke erſcheinen ließ. Auch die Anhaͤnger der roͤmiſch⸗katholiſchen Kirche erkannten die Wirkung dieſes Buches der Buͤcher ſehr bald, und beſonders die unwiſſenden Mönche und niedern Geiſtlichen zitterten, daß nun jeder Bürger und Bauer in den Stand geſetzt werde, uͤber kirch— liche Angelegenheiten und religioͤſe Wahrheiten mit ihnen zu rechten und zu ſtreiten. Dieſe Ueberſetzung war es, welche die Prieſterkaſte zuerſt zwang, etwas von der angemaßten und nach eigner Willkuͤhr ausgeuͤbten Gewalt uͤber die Geiſter und die Ge— wiſſen der Menſchen den weltlichen Fuͤrſten zuruͤckzugeben. Was bis dahin durch Bann und Interdikt des Papſtes, durch die Scheiterhaufen der Ketzermeiſter und durch die drohenden Hirtenbriefe der Biſchoͤfe bewirkt worden war, das wurde jetzt von dem Einfluſſe der weltlichen Macht erbeten. Die Schriften Lus thers und vor allen die deutſche Bibel ſollten nicht in die Haͤnde