Arbeitszeitdauer und Arbeitszeitverkürzung im internationalen Vergleich 77
a) Programmatische Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Allerdings wäre es ein Irrtum anzunehmen, daß zwischen den relevanten Interessengruppen Einigkeit darüber besteht, ob Arbeitszeitverkürzung überhaupt notwendig ist, welches Ausmaß an Arbeitszeitverkürzung wirtschaftlich noch vertretbar oder sozialpolitisch mindestens erwünscht ist und welcher Weg zu gehen ist. Derartige Meinungsverschiedenheiten sind in allen westlichen Industrienationen zu finden. Dabei zeigt Abb. 27, daß die meisten Politiker sich grundsätzlich für Arbeitszeitverkürzungen aussprechen: Diese Haltung verheißt Popularität bei der Mehrheit der Bevölkerung und vordergründig scheinen hierdurch die drängendsten Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt auch behebbar zu sein. Gewisse Unterschiede sind zwischen den Parteien festzustellen, wenn es um die Art der Arbeitszeitverkürzung geht. Hier gilt als Faustregel, daß konservative und liberale Politiker eher zur Ausweitung von Teilzeitarbeit oder zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit tendieren, während sozialistische und sozialdemokratische Politiker die kollektive Verkürzung der Wochenarbeitszeit bevorzugen. Dies ist nicht mehr als eine Tendenzaussage, denn es ist nicht immer nur eine Frage der politischen Einstellung, sondern manchmal auch der nationalen Mentalität, welcher Weg als sinnvoll angesehen wird.
Im Prinzip handelt es sich jedoch nicht nur um die Frage, ob kollektive oder individualistische Regelungen zu treffen sind. Es geht auch um die Überlegung, ob ökonomische, marktwirtschaftliche oder eher soziale, zentralwirtschaftliche Prinzipien vorherrschen sollen. Insofern ist der empfohlene Weg zur Arbeitszeitverkürzung untrennbar mit den politischen Prinzipien verbunden, die für eine politische Partei charakteristisch sind: Arbeitszeitverkürzung ist mehr als eine Sozialtechnologie, sie ist auch ein Element des politischen Programmes.
Die Haltung der Gewerkschaften stimmt in den meisten Ländern mit den Ansichten der sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Parteien überein: Hier dominiert die Forderung nach der 35-Stunden-Woche. Gleichwohl gibt es Gewerkschaften, die eher additiv als alternativ auch die Verkürzung der Lebensarbeitszeit propagieren. Die Ausweitung der Teilzeitarbeit wird meistens abgelehnt; die Gewerkschaften sehen in der Ausweitung der Teilzeit ein Unterlaufen ihrer Forderung nach der 35-Std.-Woche. Hier spielen sowohl organisationspolitische als auch sozialpolitische Überlegungen eine Rolle. Unterschiede bestehen auch in der Frage, ob Arbeitszeitverkürzungen mit oder ohne Lohnausgleich vorgenommen werden sollen.