Auflockerung des Kongruenz-Prinzips 199
Da jeder Vollzeittätige ohnehin das Wochensoll tariflicher Arbeitszeit erbringen muß, wird der Arbeitnehmer im Mittel jeden Tag 8 Stunden an seinem Arbeitsplatz verweilen müssen. Beobachtungen bei der Praxis der Gleitzeit haben im übrigen gezeigt, daß der einzelne Arbeitnehmer in der Regel seine Arbeit ohnehin Tag für Tag etwa zur selben Zeit aufnimmt und verläßt. Die Schwankungsbreite liegt selten höher als bei einer halben Stunde.
Gleichwohl ist die Sorge, ein Verzicht auf die Kernzeit könne das Unternehmen funktionsuntüchtig werden lassen, so groß, daß die vollvariable Arbeitszeit immer noch in den Anfängen steckt.
Aussichtsreicher erscheint da schon eine andere Form flexibler Gestaltung der Arbeitszeit, nähmlich die„kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit“, häßlich„Kapovaz“ abgekürzt. Aussichtsreicher deshalb, weil sie dem Mitarbeiter nützt und zugleich die zeitliche Bestimmungsmacht des Unternehmens aufrechterhält. Allerdings gibt es in der Bundesrepublik— nicht zuletzt wegen der gerade in Arbeitszeitfragen sehr restriktiven Regelungen sowie wegen des Widerstandes der Gewerkschaften— kaum praktische Beispiele.!99
Anders scheint es in einigen anderen europäischen Ländern zu sein, wenn man von bundesdeutschen Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels einmal absieht.!?7
In einigen Tarifverträgen in der Bundesrepublik Deutschland findet sich die Bestimmung, daß Mehrarbeit grundsätzlich auszuzahlen und ein Ausgleich in Freizeit nicht möglich ist. Dabei könnte der Abgeltung von Mehrarbeit durch Freizeit bei schwankendem Beschäftigungsgrad sehr wohl eine nicht unerhebliche Ausgleichsfunktion zukommen.
In den folgenden Abschnitten soll auf variable Arbeitszeitregelungen eingegangen werden, bei denen derartige betriebliche Belange im Vordergrund stehen. Hierbei handelt es sich insbesondere um schwankenden Arbeitsanfall oder um die Notwendigkeit der gleichmäßigen Auslastung der Produktionsstätten. Auch aus dieser Sicht können Arbeitszeitregelungen angeboten werden, die den individuellen Belangen vieler Arbeitnehmer entgegenkommen und dabei die traditionelle Aufteilung der Arbeitswoche in Frage stellen. Dabei bieten Jahresarbeitszeitverträge und Baukastensy
19% Kritisch hierzu: Variable Arbeitszeit— Anspruch und Wirklichkeit, WSI Mitteilungen
1983, S. 469—480. 197 Vgl. Teriet, B.: Weg von den alten Trampelpfaden, Die Zeit 2/1983, S. 21.